Workshop 11: Durch assistive Technik zu aktiver Teilhabe ¶

Wie können sich Menschen mit Behinderung durch das Web und im Web »Gehör« verschaffen?

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Dank moderner Hilfsmittel können Menschen mit den unterschiedlichsten, auch schwersten Behinderungen, das Internet selbständig nutzen. Die »technische« Barrierefreiheit von Webseiten wird damit zur entscheidenden Voraussetzung für die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an den Möglichkeiten des Internets. Mindestens ebenso interessant und relevant wie die technische Zugänglichkeit sind die inhaltlichen Konsequenzen, die sich aus der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Community-Bildung und an den öffentlichen Meinungsbildungsprozessen ergeben. Denn dort wo Menschen mit Behinderungen Interessen definieren und gemeinsam entwickelte Vorstellungen und Forderungen in den gesellschaftlichen Diskurs einspeisen, können sie potentiell mehr Aufmerksamkeit für ihre Anliegen erreichen.

Gleichzeitig verändern sich gerade durch die verbesserten Teilhabechancen etablierte Strukturen der Behindertenhilfe- und -selbsthilfe. Statt über ihre Behinderung definieren sich immer mehr Menschen über ihre Interessen und finden im Web Gleichgesinnte. Genau wie bei Menschen ohne Behinderungen müssen klassische Treffpunkte wie Clubs und Vereine plötzlich mit virtuellen Gemeinschaften konkurrieren. Ein Effekt dieser Entwicklung – so fürchten Mahner – ist, dass die bislang gemeinsam artikulierten Interessen von Menschen mit Behinderungen hinter individuelle Interessen zurückfallen. Andere betonen dagegen die Chance zur effektiveren Meinungsäußerung und zur wirklichen Integration in die Gesellschaft.

Folgende Fragen konnten im Rahmen des Workshops diskutiert werden:

  • Welche Rolle spielt das Internet für Menschen mit gleichen oder ähnlichen Behinderungen?
  • Welche Rolle spielt das Internet für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen?
  • Welche Veränderungen ergeben sich für den einzelnen Nutzer mit Behinderung? Welche für die Gruppe?
  • Welche Rolle spielt das Internet bei der Artikulation von Vorstellungen und Forderungen von Menschen mit Behinderungen?
  • Welche technischen Barrieren verhindern in besonderer Weise die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Internet?
  • Wie reagiert die Gesellschaft auf eine effektivere Artikulation der Interessen von Menschen mit Behinderungen?
  • Baut das Internet für Menschen mit Behinderungen auch neue Barrieren auf?

Moderation:

  • Dr. Susanne Wagner, Forschungsstelle zur Rehabilitation von Menschen mit kommunikativer Behinderung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Experten & Ihre Thesen:

  • Prof. Dr. Bernd Guggenberger, Professor an der Freien Universität Berlin und Direktor des Deutschen Instituts für Angewandte Sozialphilosophie (DIAS) in Bergisch Gladbach:
    1. Die geographische wird von der chronographischen Ordnung verdrängt. Prognosen so unterschiedlicher Denker wie Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger und Eugen Rosenstock-Huessy deuten einen welthistorischen Übergang von der Raumfixierung des Menschen zur Zeitgenossenschaft an: Der Mensch an der Schwelle des neuen Jahrtausends – das ist vor allem das aus seiner Raumdimension gefallene Wesen, das jenseits eigener Anschauung und eigenen Begreifens siedelt. Die wohl allgemeinste Bewegung der Epoche, an der ausnahmslos alle in der einen oder anderen Weise teilhaben, ist der Wechsel von der Raum- zur Zeitgenossenschaft.
    2. Das Gemeinsame der sich abzeichnenden Revolution der neuen Technologien scheint zu sein, dass sie, ganz allgemein gesprochen, die Ortsbindung aufheben und Teilhabe ohne Anwesenheit ermöglichen. Dialog und Teilhabe sind im Kommunikationszeitalter nicht mehr raumgebunden. Für die Kinder von Apple und DOS ist nicht mehr entscheidend, dass die Akteure den Ort gemeinsam haben, sondern dass sie an der nämlichen Zeit partizipieren.
    3. Der Eingangssatz des 1994 in den USA erschienenen Manifests »Cyberspace and the American Dream: A Magna Charta for the Knowledge Age« lässt an der Deutlichkeit der Botschaft keinen Zweifel: Das zentrale Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts ist der Sturz der Materie. Was bedeutet es für unser Leben und Zusammenleben, wenn sich die Realia – Dinge Menschen, Natur – aus unserem unmittelbaren Erfahrungsraum verabschieden? Was bedeutet der Verlust an primärer Anschauung für die Formung unserer Urteilskraft wie für die Entwicklung unserer sozialen und kommunikativen Fähigkeiten?
  • Bernd Schneider, Taubenschlag:
    1. Untertitel und Gebärdensprache ermöglichen Hörgeschädigten ein barrierefreies Internet-»Fernsehen«. Aber: Vorhandene Untertitel einer TV- oder DVD-oder Gebärdenspracheinblendungen werden bislang kaum/nicht genutzt.
    2. Assistive Techniken sind für viele Menschen mit Behinderung eine notwendige Voraussetzung für eine aktive Teilhabe im Internet und über das Internet.
    3. Die sprecherunabhängige Spracherkennung wird zukünftig eine automatische Übersetzung von der Laut- in die Schrift- und Gebärdensprache und umgekehrt ermöglichen.
  • Ralf Raule, Deutscher Gehörlosenbund:
    1. Avatare als assistive Technologie für gehörlose Menschen werden kommen. Es werden aber noch einige Jahre vergehen, bis sie wirkliche Akzeptanz erhalten. Ihre Bedeutung wird derzeit überschätzt.
    2. Für gehörlose Menschen werden Bandbreiten zukünftig bedeutsam sein, da Videos über das Internet gesendet werden. Hier sind besonders die Upload-Raten auf Seiten der Nutzer wichtig, weniger die Download-Raten.
    3. Es werden im Internet eigene (virtuelle) Welten entstehen, die gezielt nur bestimmte Nutzerkreise (wie bspw. gehörlose Menschen) umfassen. Dieser Trend zu einer Abschottung wird mit Web 2.0 noch wesentlich verstärkt.

Ergebnisse des Workshops: 11 – Durch assistive Technik zu aktiver Teilnahme

  1. Internet ermöglicht für alle mehr Information und Kommunikation – heute und zukünftig
  2. Vision/Forderungen für die Zukunft (10 Jahre)
    • volle Untertitelung und Gebärdenspracheinblendung (ausblendbar) in Fernsehen und Internet
    • Gebärdensprache wird selbstverständlich sein
    • Gehörlose und Schwerhörige sind eine Zielgruppe
    • durch Gebärdensprache volle Teilhabe für Menschen mit Hörbehinderungen/Gehörlose an der Gesellschaft (assistive Techniken ermöglichen Teilhabe)
    • Schule ist nicht ausgrenzend, alle lernen die Lebenswelten der anderen kennen
    • Barrieren werden weniger sein → bessere Kommunikation insgesamt
  3. Wie realisieren?
    • Schule übergreifen, keine Sonder-/Förderschulen
    • Internet als »Mittler« zwischen den sprachlichen und kulturellen Welten
    • → »Ent«schottung