accessCast
Neue Runde im Browserkrieg?
Hallo und herzlich willkommen beim Podcast von ›Einfach für Alle‹, der Aktion Mensch-Initiative für barrierefreies Webdesign. Heute werfen wir einen Blick in die aktuelle Browserlandschaft, die ja wieder mächtig in Bewegung gekommen ist.
Am Mikrofon heute Manfred »majo« Heinze und Tomas Caspers, Links zum Draufrumdrücken gibt's wie immer in der Mitschrift.
Autor: tc
IE7 – der neue Platzhirsch?
Den Anfang machte der langerwartete Internet Explorer. Das letzte Update von 5.5 auf 6.0 stammt tatsächlich schon vom August 2001. Seitdem wurden einmal im Monat die neuesten Sicherheitslücken gestopft, an dem für Webentwickler interessanten Kern des Browsers, der sogenannten Rendering Engine gab es keine Verbesserungen. Wer trotzdem dem IE das Verständnis für moderne Techniken wie CSS 2 einimpfen wollte, musste dazu auf JavaScript-Bibliotheken wie die witzigerweise auch IE7 genannte von Dean Edwards zurückgreifen.
Die Älteren unter unseren Zuhörern werden sich eventuell noch erinnern: 2001 – das war die Zeit, als der Netscape 4 so langsam ausstarb und Mozilla bei 0.9.irgendwas angekommen war. Bleibt zu hoffen, dass es mit dem nächsten Update etwas schneller geht.
Bisher ist der IE7 nur im englischen Original und auch nur als Download erhältlich. Diese Version ist laut Chris Wilson von Microsoft alleine in den ersten vier Tagen seit dem Erscheinen über drei Millionen mal heruntergeladen worden. Spätestens zum 1. November soll dann die eingedeutschte Version folgen und auch über die Software-Aktualisierung als empfohlenes Update verteilt werden.
Schauen wir uns doch mal an, was der Browser Neues mit sich bringt:
- Die offensichtlichste ist sicher, dass der IE jetzt das aus anderen Browsern bereits bekannte ›Tabbed Browsing‹ beherrscht. Und im verbreiteten Screenreader JAWS 7.1 werden diese schon erkannt und sind auch voll nutzbar, wie wir bei einem Test hocherfreut feststellen konnten.
- Noch eine wichtige Neuerung: die Optionen zur Schriftskalierung sind endlich direkt erreichbar, ohne dass man sich durch fünf Dialoge klicken muss. Vielen Nutzern wird dadurch zum ersten Mal klar, dass man Schriften auf Webseiten vergrößern kann. Das ist eine gute Entwicklung und erfüllt eine wichtige Forderung aus den User Agent Accessibility Guidelines des W3C. Daneben gibt es eine neue Option, die Seiten komplett zoomt, wie dies bisher nur mit Opera möglich war. Mehr dazu im Verlauf der Sendung.
- Im IE7 und damit wohl auch im kommenden Windows Vista ist die Schriftglättung werksseitig aktiviert. Gerade auf den wohl mittlerweile mehrheitlich vorhandenen LC-Displays bringt diese bei Microsoft ClearType genannte Technik enorme Vorteile in Bezug auf die Lesbarkeit.

Auch für Webentwickler gibt es neue Sachen zu entdecken. Microsoft hatte bei der Überarbeitung des Browsers eine bis dato für diese Firma ungekannte Offenheit an den Tag gelegt. So wurden schon in einer sehr frühen Phase öffentliche Umfragen über das IE Blog gemacht. Die Programmierer von Microsoft wollten zum Beispiel wissen, welche Fehler in der Umsetzung von CSS die höchste Priorität haben sollten. Herausgekommen ist eine wesentlich verbesserte Unterstützung dieses wichtigen Standards. Aber: kein Licht ohne Schatten – erweiterte Selektoren, CSS-Tables und einiges mehr werden nach wie vor nicht unterstützt. Bei einigen dieser Probleme helfen aber die eingangs erwähnten Skripte von Dean Edwards.
Beim Testen der ›Einfach für Alle‹-Website hat uns die IE Developer-Toolbar sehr weitergeholfen. Ähnlich dem aus den Geckos bekannten DOM Inspector wird hier der Dokumentenbaum in einem separaten Fensterbereich angezeigt und durch Klick auf die einzelnen Knoten oder Elemente kann man auf einen Blick sehen, welche Styles auf das ausgewählte Element angewendet werden und was sich wie wohin vererbt. Eine gute Sache, die bei keinem professionellen Webentwickler fehlen sollte.
Die Installation des Script Debugger im IE kann allerdings in einen Albtraum ausarten. Die Jungs von 37Signals haben es versucht und die Ergebnisse in einem Video dokumentiert und gleich auch noch mit dem entsprechenden Tool für Apples Safari verglichen, der mit vier Klicks lief. Die Links zum Download finden Sie wie immer am unteren Ende der Mitschrift zu diesem Podcast.
Welche Baustellen es für Browserhersteller sonst noch gibt, lässt sich gut in einem Dokument des W3C aus dem Jahr 2003 nachlesen: »Common User Agent Problems – Once Upon A Time, A User Agent…«. Auch warten wir immer noch auf einen Browser, der die User Agent Accessibilty Guidelines des W3C (UAAG, gesprochen Juh-äck) vollständig berücksichtigt.

Firefox 2.0 – die Wachablösung?
Der neue Firefox 2.0 erfüllt diese W3C-Richtlinie nach unserem Kenntnisstand nur teilweise, aber immerhin gibt es bei der Mozilla Foundation ein »Voluntary Product Accessibility Template« genanntes Dokument, in dem die Konformität der Vorgänger-Software Firefox 1.5 zu den amerikanischen arbeitsrechtlichen Bestimmungen beschrieben ist. Schlechter geworden ist die neue Version nicht, und sie arbeitet neuerdings hervorragend mit aktuellen Versionen von Screenreadern wie Window Eyes und JAWS und deren Open Source-Pendants zusammen.

Die Konkurrenz hat sich sehr über die Veröffentlichung von Firefox 2.0 gefreut. Microsofts Produktmanager Tony Chor hat zur Feier des Tages sogar eine Torte beigesteuert und an das Firefox-Team geschickt. Die Aufschrift: »Congratulations on shipping! Love, the IE team«
Ganz ohne Bugs ist der Browser auch nicht, wie schon Deutschlands meister Tester Dirk Jesse rausgefunden hat.
Streng genommen kein Bug, aber nervend ist das geänderte Verhalten bei Accesskeys. Wo bisher Alt + Accesskey gereicht haben, muss man nun im Firefox 2.0 Alt + Shift + Accesskey drücken. Als Webseitenbetreiber vernünftige Hilfetexte zum Umgang mit Accesskeys zu schreiben war schon immer schwierig, jetzt muss man die Hilfen auch noch um Versionshinweise ergänzen – nach dem Motto »wenn sie Firefox kleiner gleich 1.5 benutzen drücken Sie bitte das, wenn Sie Firefox größer gleich 2.0 benutzen, dann drücken Sie bitte auch noch das.«
Wie bei Firefox üblich kann man das Verhalten über das berühmt-berüchtigte about:config
ändern - dazu muss man nur den Schlüssel ui.key.generalAccessKey
finden und den Wert des Integers auf 18
ändern – wenig intuitiv, wie leider so vieles an diesem Browser. Weitere Tipps und Tricks rund um die vielen Konfigurationsmöglichkeiten finden sich im Wiki von firefox-browser.de und bei livehacker.com.
Für Mac-User gibt es wieder eine Reihe inoffizieller Versionen des Browsers. Neil Lee hat diese jeweils auf die G4, G5 und Intel-Prozessoren optimiert, so dass sie sich eine ganze Ecke schneller anfühlen. Ausserdem sehen darin Formularelemente aus wie Formularelemente.
Ganz nett sind die neu eingeführten Microsummaries. Trotz der Namensähnlichkeit sind das aber keine neuen Microformats, sondern eine Art dynamischer Lesezeichen mit einer kurzen Zusammenfassung der jeweiligen Seite. Was man damit alles anstellen kann, erklärt der Artikel »Creating a Microsummary« im Mozilla Developer Center. Für das Weblog-System Wordpress gibt es bereits eine erste Erweiterung zur Erstellung von Microsummaries.
Mittlerweile sind auch sämtliche wichtigen Erweiterungen aktualisiert worden, so dass sie im Firefox 2.0 das Leben erleichtern können. Eine Liste findet man bei addons.mozilla.org. Bei uns im Dauereinsatz sind nach wie vor die für Webentwickler unverzichtbaren Erweiterungen Web Developer Toolbar, X-Ray und der nach wie vor stark verbesserungswürdige DOM Inspector.

Das Fazit: Vista was besseres?
Das Herunterladen und die Installation des Internet Explorers dauert eine halbe Ewigkeit. Dass sich der Browser nur auf legitimen und nicht auf »ausgeliehenen« Versionen von Windows installieren lässt, ist nachvollziehbar. Leider muss man während der Installation eventuell vorhandene Antivirensoftware und Firewalls abschalten, so dass der Rechner bis zum anstehenden Neustart des Systems offen wie ein Scheunentor ist.
Der Download von Firefox geht hingegen rasend schnell, je nach Betriebssystem läuft der Browser spätestens nach vier Klicks, und die einzige Bedingung ist, das während der Installation eventuell vorhandene Vorgängerversionen beendet werden. Die erste Runde geht somit klar an den Firefox.
In der Abteilung Oberfläche können wir uns nicht entscheiden. Firefox 2.0 ist seiner Vorgängerversion zum Verwechseln ähnlich, sieht man von einigen Verbesserungen im Detail ab. Der IE ist hingegen radikal anders als die Vorgänger, aber sicher nicht schlechter. Er verlangt seinen Nutzern einiges an Umdenken ab, aber die neuen Features will man nach der ersten Sitzung nicht mehr missen.
Auch bei den zusätzlichen Features können wir uns für keinen klaren Sieger entscheiden. Das ›Tabbed Browsing‹ ist im IE fast schon ein bisschen intuitiver, klar vorn liegt dafür der Firefox in der Verwaltung von RSS-Feeds, die der IE nun auch beherrscht. In der Erweiterbarkeit liegt das Angebot der Mozilla Foundation klar vor der Konkurrenz aus Redmond. Nur – die wenigsten Erweiterungen für den Firefox sind auch für den Massenmarkt, wie ihn der IE bedient, wirklich sinnvoll. Die Konfiguration und Anpassung des Browsers scheint auf den ersten Blick im IE etwas komplizierter zu sein, da man sich unter Umständen durch viele Dialoge klicken muss. Allerdings ist dies intuitiver als die Konfiguration per about:config im Firefox, wo der Nutzer sich mit Integern, Strings und Booleschen Operatoren beschäftigten muss.
Was ändert sich für Webentwickler?
Nicht wirklich viel, wenn Sie bisher schon sauberen Code ausgeliefert haben. Der IE 7 ist gegenüber dem IE 6 wieder Standard-konformer geworden. So wie der IE 6 besser war als der IE 5.5, der IE 5.5 besser als der 5.0 etc. Und so wird der Microsoft-intern als »IE.Next« gehandelte Nachfolger sicher nochmals ein Stück besser werden. Inkrementelle Verbesserungen sind eine Grundlage des Webs, einen Browser, der alle relevanten Standards vollständig und korrekt umsetzt kennen wir bisher nicht.
Wenn Ihre Style Sheets aber hauptsächlich aus Workarounds, Hacks und Browser-Filtern bestehen, dann haben Sie jetzt ein echtes Problem: viele dieser Filter funktionieren im IE 7 nicht mehr und die eigentlich den Vorgängern zugedachten Hacks zerlegen jedes Layout. Ein Weg aus diesem Dilemma ist, sämtliche Hacks nach Browserversionen getrennt in zusätzliche Style Sheets auszulagern und diese per Conditional Comment für die jeweils betroffenen Browser-Versionen nachzuladen.
Was Web-Programmierern und -Designern aber viele Kopfschmerzen bereiten wird, ist das neue Zoom-Feature im IE 7. Die neue Funktion entspricht dem Verhalten in einer Textverarbeitung: wenn Text zu klein oder zu groß ist, dann kann man entweder die Schriftgröße ändern, oder das ganze Dokument skalieren.
Und genau da liegt der riesige Unterschied zwischen der Art der Skalierung, wie sie in Firefox, Safari und IE 5 / Mac funktioniert und der Skalierung in IE 7 und Opera: bei der reinen Textskalierung wird nur die Textgröße geändert, Bilder, Grafiken und Spalten bleiben gleich. Bei sauberer Umsetzung passt der Inhalt immer noch ins Browserfenster und ein horizontaler Scrollbalken wird vermieden.
Beim Seiten-Zoom wird, wie der Name vermuten lässt, die gesamte Seite skaliert, sodass höchstwahrscheinlich schon in der ersten Zoomstufe ein horizontaler Scrollbalken erscheint. Ganz schwierig wird es, wenn sowohl Seiten-Zoom als auch Textskalierung miteinander angewendet werden. Sobald der IE eine kritische Masse bei den Zugriffen erreicht, werden daher viele auf flexiblen Bemaßungen basierende Konzepte neu überdacht werden müssen.
So, das war mal wieder eine Ausgabe unseres accessCast. Weitere Meldungen zum Thema der heutigen Sendung finden Sie im Weblog von ›Einfach für Alle‹ unter den Tags Browser, Mac, Windows, Linux und Hilfsmittel.
Wenn es Ihnen gefallen hat hören wir uns nächste Woche wieder.