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Warum barrierefreies Internet?

Hallo und herzlich willkommen zur neuesten Ausgabe des Podcasts von ›Einfach für Alle‹, der Aktion Mensch-Initiative für barrierefreies Webdesign. Weil es wirklich eine tolles Ereignis war gibt es heute einen zweiteiligen Rückblick auf die Veranstaltung »Warum barrierefreies Internet?« des Vereins »accessible media« im schönen Wien.

Autor: tc

Am Mikrofon heute Manfred »majo« Heinze, Links zum Selberdrücken gibt‘s wie immer in der Mitschrift.

Die Veranstaltung fand am 12. Oktober im TechGate Vienna gleich neben der UNO statt. 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, um sich über Barrierefreiheit in der Praxis zu informieren. Die Vortragenden aus dem In- und Ausland zeigten auf, dass Barrierefreiheit eine umfassende und herausfordende Aufgabe darstellt.

Für alle, die nicht dabei sein konnten und jene, die gerne nachschlagen möchten: hier eine Nachlese von Martin Ladstätter von BIZEPS. Herzlichen Dank!

»Einfach aber nicht Simpel!«

»Wie schreibe ich einfach?« So nannte sich ein bemerkenswerter Vortrag von Elke Mayer, Christopher Meiller und Johannes Reiss.

»Willkommen bei der Deutschen Post, der Leistungsmarke für Briefkommunikation, Dialogmarketing und effiziente Outsourcing- und Systemlösungen für das Briefgeschäft.«

Mit diesem Beispiel zeigte Elke Mayer welches Satzungetüm - bestehend nahezu ausschließlich aus Fremdwörtern, zusammengesetzten Substantiven und Anglizismen - die Deutsche Post ihrem durchschnittlichen Kunden zumutet.

Die Teilnehmer der Veranstaltung wurden mit diesem Praxisbeispiel direkt und ohne viel Theorie mit dem Thema »Leichte Sprache« konfrontiert.

»Für verschiedenste in ihrer Lesekompetenz eingeschränkte Benutzergruppen stellt die sprachliche Erfassung durchschnittlicher Internetauftritte eine Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit dar«, ergänzte Christopher Meiller und erläuterte: »Lange und umständlich formulierte Texte, unübersichtliche Seitengestaltung, komplexe Schachtelsätze und der Einsatz entbehrlicher Fremdwörter erschweren das Verständnis und schließen so potentielle Zielgruppen von bereitgestellten Inhalten aus.«

Internet-Kommunikation ist überwiegend textbasierte Kommunikation, stellte Johannes Reiss fest und erinnerte daran, dass »geschätzte 20.000 Jugendliche jährlich die Schule verlassen, ohne hinreichend sinnerfassend lesen zu können«.

Doch es gibt noch eine Reihe von weiteren Gruppen, die von leichter Sprache profitieren:

  • Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache,
  • Kinder im Volksschulalter
  • sowie Menschen mit Lernschwierigkeiten

Das Bereitstellen von Angeboten in Leichter Sprache ist somit einerseits Teil der fortschreitenden Demokratisierung des Internet, erläutert Meiller.

»Man kann gewiss nicht alles simpel sagen, aber man kann es einfach sagen«, zitieren die Vortragenden Kurt Tucholsky. Daher kann als kürzestes Grundsatzprogramm der Leichten Sprache gelten: »Einfach, aber nicht simpel!«

Sprache muss umfassend und nicht nur vage verstanden und begriffen werden, will man Webangebote nicht am Benutzer vorbei formulieren. Mehrdeutigkeiten müssen daher vermieden werden.

Mit den Beispielen Fritz singt eine Arie oder Fritz singt vor der Polizei oder Hans kauft die Zeitung um 2 Euro oder Hans kauft die Zeitung um 21 Millionen Euro wurde dargelegt, wie im Alltag Schwierigkeiten auftreten können.

Im nächsten Praxisbeispiel berichtete Reiss über die Erfahrungen mit einem Formular.

»Anlässlich einer größeren Veranstaltung nächste Woche hatte ich die Aufgabe, ein interaktives Anmeldeformular mit allen üblichen Leistungen wie Feedbackmail, Fehlerroutine etc. bereitzustellen. Jetzt mal abgesehen von den Kundenwünschen war es mir natürlich wichtig, das Formular möglichst barrierearm und benutzerfreundlich zu gestalten. Der Adressat war im konkreten Fall ziemlich eindeutig: deutschsprachig, zu 99 % Akademiker und imstande, mehrere Zeilen Text sinnverstehend zu lesen«, umriss er die Anforderungen und die Ausgangslage.

Interessant war, dass aus verschiedenen Gründen trotzdem rund 50 % »schlicht und einfach am korrekten Ausfüllen des Formulars« scheiterten. Nicht erkannte Barrieren können so auch schnell zum Kostenfaktor werden. Diese Erkenntnis war damit greifbar gemacht worden und so dem Publikum leicht nachvollziehbar.

Shadi Abou-Zahra: »Wir produzieren Standards«

Abou-Zahra ist für die Organisation World Wide Web Consortium (W3C) als Experte im Bereich barrierefreies Internet tätig - ein internationales Konsortium, in dem Mitgliedsorganisationen, ein fest angestelltes Team, und die Öffentlichkeit gemeinsam daran arbeiten, Web-Standards zu entwickeln.

»Wir produzieren Standards«, erläutert er und verweist auf die seit dem Jahr 1999 geltenden W3C-Richtlinien für barrierefreies Internet. Diese »W3C Web Content Accessibility Guidelines 1.0 ( WCAG 1.0)« sind in vielen Ländern - so auch in Österreich - Beurteilungsstandards der Gesetzgebung, wenn es um barrierefreies Internet geht.

Die Richtlinien WCAG 1.0 wurden im Jahr 1999 veröffentlicht. Nun wird intensiv und seit Jahren an einer Nachfolge gearbeitet. Diese WCAG 2.0 sollen in absehbarer Zeit erscheinen. »Wann dies genau ist, kann ich nicht beantworten«, so Abou-Zahra auf Nachfrage aus dem Publikum.

Obwohl der Entwurf der WCAG 2.0 nicht unumstritten ist, rät er den Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich trotzdem schon jetzt damit vertraut zu machen. Derzeit werden über 400 Anregungen bearbeitet und danach könnten die Richtlinien veröffentlicht werden.

Die neuen Richtlinien für barrierefreies Internet sollen technologieunabhängiger sein und die »Kriterien müssen leichter testbar werden«, kündigt er die wesentlichsten Verbesserungen an. Wichtig sei auch, dass »eine Vielzahl von begleitender Information« zu den neuen Richtlinien erstellt werde. Daran werde im W3C gerade gearbeitet.

Kurier: »Relaunch für die User«

Der Veranstaltungsblock: »Barrierefreier Relaunch in der Praxis« wurde mit einem Vortrag von Thomas Jöchler von der Tageszeitung Kurier eröffnet. Der Kurier ist seit dem Jahr 1996 online und der drittgrößte Internetauftritt einer österreichischen Tageszeitung.

Zum 10-Jahres-Jubiläum hat sich der Kurier kein großes Fest geleistet, sondern einen »Relaunch für die User« durchgeführt, berichtet der Vortragende.

Der Kurier ging im Frühjahr 2003 als erste große österreichische Seite mit einem tabellenfreien Layout online.

»Der letzte Relaunch im Jahr 2003 war bereits ein Schritt in die Richtung webstandardnahes Design. Wir haben schon damals die Trennung von Design und Struktur großteils umgesetzt«, erläutert Jöchler. Der konsequente Einsatz von CSS war daher nahe liegend und hat beim Relaunch 2006 »sehr viel Zeit gespart«.

»Für die Wahrnehmung durch die User bietet uns die klar strukturierte Seite weitere Vorteile«, analysiert der Leiter der Kurier Projektentwicklung. »Wir tauschen die (sklavische) Browserkompatibilität nach unten gegen die prinzipielle Zugänglichkeit der Seiten. Beim Relaunch 2003 haben wir bewusst Netscape 4 nicht mehr unterstützt, diesmal haben wir die Latte beim IE 5.5 eingezogen.«"

Der Zugang zum Inhalt soll mit prinzipiell allen Endgeräten möglich sein, »die designliche Auszeichnung setzt bestimmte einigermaßen an Webstandards orientierte Browser voraus«, stellt er klar.

»Jeder Artikel besteht aus Überschrift, Anreisser, Bild und Bildtext und Fließtext«, erklärt Jöchler. Da der Kurier versucht die Nachrichten über möglichst viele Ausgabekanäle zu verbreiten (Webseite, RSS-Feed, Newsletter, Kurier Mobil) ist der Grundsatz »Die Artikel müssen Titel haben, die für sich allein stehen können« besonders wichtig.

Um diese verschiedenen Ausgabekanäle möglichst optimal zu organisieren, war die Trennung von Inhalt und Layout schon seit dem Jahr 2003 für den Kurier ein wichtiges Kriterium bei der Planung eines neuen Internetauftrittes. Der Fokus auf multiplen Ausgabekanälen bewirkt: Inhalt losgelöst von Form denken.

»Für uns war die Nutzung von CSS wichtig«, berichtet Jöchler von einer geglückten Personalentscheidung: »Unser Glücksgriff war, dass dieser Grafiker nicht nur das Layout sondern auch Webstandards-konformen HTML-Code lieferte.«

Von Anfang an war beim Relaunch »Accessibility und Webstandardskonformität mitgedacht«. Es hat sich auch gezeigt, dass »strukturierter Aufbau Accessibility bringt«, teil er seine Erfahrungen mit.

Der Code sei möglichst übersichtlich strukturiert und die Abfolge im Code entspricht der journalistischen Gewichtung der Seite (weiter oben = wichtiger). Sprungmarken zur Navigation und Inhalt werden angeboten.

»Zugänglichkeit muss man umfassend denken: Design, laufende Entwicklung, tägliche redaktionelle Arbeit werden berücksichtigt«, so sein Credo. Wichtig war auch die »Projektbegleitung durch den Verein accessible media«.

Doch der lang="en" hreflang="en" 2006 »stellt nicht den Endpunkt dar«, erläutert Jöchler durchaus selbstkritisch. Noch seinen einige Punkte zu verbessern. So werde derzeit »das ALT-Attribut für Quellenangaben von Bildern genutzt«, was nicht ideal sei.

Auch kämpfe sein Team »mit einigen Tücken des Redaktionssystems« und daher werde nicht immer fehlerfreier Programmiercode geliefert. Ihm ist daher »Kritik, Feedback und Input auch in Zukunft sehr willkommen«.

Wien.at: »Barrierefreiheit kostet ... und zahlt sich aus!«

Beim Veranstaltungsblock: »Barrierefreier Relaunch in der Praxis« berichtete Michael Rederer von der wien.at-Koordination über die Bemühungen eines barrierefreien Internetauftritts der Stadt Wien.

»Seit dem Jahr 1995 ist wien.at für alle Wienerinnen und Wiener sowie für all jene, die mehr über die Bundeshauptstadt erfahren möchten, online«, erinnert er und nennt die Battlinie: »Öffentliche Inhalte müssen für alle zugänglich sein.«

Seit dem Jahr 2000 bemüht sich wien.at um Barrierefreiheit. Die damaligen Gegebenheiten waren schwierig. Es gab kein Redaktionssystem, die »Seiten wurden mit einem Tabellen-Layout erstellt« und es gab keine Vorgaben für Formulare, erläutert Rederer in seinem Vortrag.

Doch es gab auch einige Pluspunkte. Dazu zählten u. a. der »relativ einfacher, sauberer HTML-Code« sowie die Bereitschaft des Internet-Teams die 40.000 bestehenden Seiten zu verbessern.

Doch diese Aufgabe musste exakt geplant sein, da »über 150 Autorinnen und Autoren aus über 70 Fachabteilungen« beteiligt sind. Auch sind die »einschlägigen Kenntnisse und Vorwissen sehr unterschiedlich«, da die einzelnen Autorinnen und Autoren ihre Internet-Tätigkeit nebenbei zu ihren regulären Arbeiten durchführen.

Eine wichtige Funktion kommt daher der Redaktion und Koordination bei wien.at zu. Dazu gehört das »Institutionalisieren der Barrierefreiheit, damit alle Bescheid wissen; auch oder gerade Entscheidungsträger«.

Von »absoluter Unzugänglichkeit« zu »zumindest nutzbar« ist es manchmal nur ein kleiner Schritt, hält Rederer fest und zeigt Beispiele, wie wien.at damals sein Angebot Schritt für Schritt verbessert hat.

Hilfreich waren auch Informationsveranstaltungen mit Live-Demo. So konnte Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von wien.at die Arbeitsweise von behinderten Menschen näher gebracht werden.

»Barrierefreiheit kostet ... und zahlt sich aus!«, hält er fest und benennt die Zusatzaufwände auch konkret. Es handelt sich beispielsweise um Kosten der Tests, Qualitätssicherung, Arbeitszeit und Kosten für externe Dienstleister, die bei Bedarf beigezogen werden.

Doch muss man auch den Nutzen von barrierefreien Internet klar benennen, fordert er. Hier ist beispielsweise die leichtere Wartung gut strukturierter Angebote erwähnenswert. Auch nutzt Barrierefreiheit, weil solche Seiten grundsätzlich die Benützbarkeit für alle erleichtern.

Mit Freude konnte das wien.at-Team im Jahr 2005 den lang vorbereiteten Relaunch durchführen. Damit wurde eine grundlegende Verbesserung des Angebotes erreicht.

Die Seiten erfüllen nun - auf das Layout bezogen - »Level AA« der Richtlinien für barrierefreies Internet und auch die Wartung hat sich vereinfacht und der Seitenaufbau deutlich beschleunigt.

Doch »Barrierefreiheit ist ein Prozess«, so Rederer, der klar darauf hinweist, dass »der nächste Relaunch bestimmt kommt«.

»Wir betrachten deshalb unsere Bemühungen in Sachen Barrierefreiheit mit dem Relaunch 2005 nicht als abgeschlossen, sondern sehen ihn als kontinuierlichen Prozess, unser Portal weiter zu verbessern«, gibt wien.at bekannt.

Das war die dreizehnte Ausgabe unseres wöchentlichen Podcasts zum Thema barrierefreies Webdesign mit dem ersten Teil des Rückblicks auf die Veranstaltung »Warum barrierefreies Internet« des Vereins »accessible media« in Wien. Der Dank der Woche geht diesmal an Martin Ladstätter, der uns die Texte zur Verfügung gestellt hat. Weitere Meldungen zum Thema der heutigen Sendung finden Sie im Weblog von Einfach für Alle unter den Tags Veranstaltungen, Barrierefreiheit und Österreich, die Links gibt‘s wie üblich in der Mitschrift.

Wenn es Ihnen gefallen hat hören wir uns nächste Woche wieder.