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Target-Klage und Apple VoiceOver

Hallo und herzlich willkommen zur siebten Ausgabe des Podcasts von ›Einfach für Alle‹, der Aktion Mensch-Initiative für barrierefreies Webdesign. Nach den ausgesprochen monothematischen Podcasts der vergangenen Wochen gibt es heute mal wieder Vermischtes aus Accessibility-Land.

Autor: tc

Am Mikrofon heute Manfred »majo« Heinze, Links zum Draufklicken gibt’s wie immer in der Mitschrift.

Thema der Woche №1: Die Klage gegen Target

In unserem Weblog hatten wir schon mehrfach über die Klage gegen den amerikanischen Einzelhändler Target, das heißt, gegen seine Website target.com berichtet. Im Februar dieses Jahres hatten die amerikanische National Federation of the Blind (NFB) und der blinde Kalifornier Bruce Sexton, ein Student aus Berkley, eine Sammelklage gegen Target eingereicht. Der Vorwurf lautet: Die Website ist für blinde Nutzer nicht bedienbar.

Dieser Klage wird viel Bedeutung beigemessen, denn Target ist einer der Marktführer der Branche. Das Unternehmen unterhält circa 1.300 Läden und hat einen jährlichen Umsatz von über 46 Milliarden US$. Von Bedeutung ist die Klage auch deshalb, weil bisher in keinem einzigen Fall abschließend geklärt wurde, ob das US-Gesetz »Americans with Disabilities Act« auch für die Webseiten privater Anbieter gilt. Weitere Hintergründe zur Klage findet man auf den Seiten der Disability Rights Advocates, einer gemeinnützigen Organisation, die den blinden Berkley-Studenten Sexton vor Gericht vertritt.

Als die Klage im Frühjahr eingereicht wurde, haben wir uns die Website target.com angesehen. Die Zugänglichkeit lässt in der Tat stark zu wünschen übrig. Der Bestellvorgang funktioniert nur per Maus, mit der Tastatur scheitert man an der Kasse und die Bilder und grafischen Bedienelemente haben größtenteils keine Alternativtexte.

Am 23. Juli fand nun vor einem kalifornischen Gericht die erste Anhörung statt in der Gutachten und Gegengutachten eingebracht wurden. Dabei haben beide Seiten namhafte Experten der Accessibility-Szene hinzugezogen:

  • auf Seiten der Kläger steht der bekannte Autor und Berater Jim Thatcher. Thatcher ist freier Berater und hat den ersten Screenreader für IBM entworfen. Er ist außerdem Autor eines der Standardwerke über das Design barrierefreier Websites (»Constructing Accessible Websites«)
  • auf Seiten des verklagten Unternehmens arbeitet Chuck Letourneau. Letourneau ist der ehemalige Co-Chair der Arbeitsgruppe für Web Content Acessibility Guidelines 1.0 (WCAG 1.0). Diese Gruppe gehört zum World Wide Web Consortium (W3C).

Beim Erstellen der Gutachten sind allerdings einige Fehler unterlaufen:

So fokussiert Thatcher seine Befunde ausschließlich auf Barrieren für blinde Nutzer von Screenreadern. Dies liegt zunächst nahe, da der Kläger selbst blind ist und eine individuelle Diskriminierung nachzuweisen versucht. Die Art der Formulierungen erweckt jedoch den Eindruck, dass es beim barrierefreien Webdesign ausschließlich um die Bereitstellung des technischen Zugangs für nur eine Gruppe von Hilfsmitteln geht. Damit konzentriert sich die Klage im vorliegenden Fall ausschließlich auf eine veraltete JAWS-Version für Windows.

Die Aussage etwa, dass Alternativtexte für Bilder beim Drübermausen als Tooltip erscheinen, können Experten kaum überzeugen. Einige der im Gutachten aufgelisteten Hürden sind mittlerweile vom Anbieter beseitigt. Dies hat der Autor selbst angemerkt. Einige der höchsten Barrieren sind im Gutachten für Sexton nicht angeführt: So werden die wöchentlichen Sonderangebote oder andere Rabatte (»An easy 10% off«) ausschließlich als Grafiken ohne Alternativtext dargestellt. Dies führt dazu, dass jemand, der diese Grafiken nicht sehen kann, 10% mehr bezahlt. Das ist eine klare Diskriminierung.

Da dies vom Gutachten nicht erwähnt wird, hat der Gegengutachter leichtes Spiel: die Strategie der Verteidigung zielt offensichtlich darauf ab, für die Unzugänglichkeit der Website den Anwender und seine Software verantwortlich zu machen:

»In my experience, a blind person’s ability to access any given website depends on more than just the website’s design. It will depend on […] how much time the user is willing to spend exploring the cite [sic]«

Frei übersetzt heißt das: »Der Zugang klappt schon irgendwie, egal wie ungünstig das Design ist. Der Benutzer muss einfach nur etwas mehr Ausdauer beim Erkunden der Site aufbringen.«

Aus der deutschen Perspektive wird dieser Fall relevant, wenn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft getreten ist. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wird es dann möglich sein, als Nutzer Anbieter von Websites zu verklagen, auf denen der Zugang eingeschränkt ist.

Thema der Woche №2: Barrierefreiheit jenseits von Windows und JAWS

Für Apple-Nutzer stand diese Woche wieder eine SteveNote auf dem Programm. Das sind per Live-Video ins Netz übertragene Keynotes, mit denen Firmenchef Steve Jobs das Internet teilweise blockiert, diesmal von der Worldwide Developers Conference (WWDC) in San Francisco.

Es fehlte zwar das typische »one more thing…«, aber es war ja auch eine Entwickler-Konferenz. Trotzdem gab es einige interessante Neuerungen, die wir uns mal kurz ansehen oder anhören wollen. Für Entwickler neu ist, dass das kommende OS X 10.5 (Codename Leopard) mit bereits fertig installiertem Ruby on Rails ausgeliefert wird.

Auch im Bereich der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung wird sich beim nächsten Update einiges tun. Bereits beim aktuellen MacOS X 10.4 (Tiger) ist ein Screenreader namens VoiceOver eingebaut, der die Zugänglichkeit ab Werk und ohne kostspielige Zusatzsoftware ermöglichen soll. Letztendlich ist dieser Schritt konsequent: der akustische Zugang zum Betriebssystem ist wie der optische nur eine weitere Möglichkeit - warum sollte man also für den akustischen Zugang extra bezahlen, wenn der grafische umsonst ist?

Bei der Vorstellung von VoiceOver war das Echo zunächst gemischt. Die einen bemängelten fehlende Features, die man von anderen Produkten gewöhnt waren. Die anderen freuten sich, weil es Apple-typisch ganz einfach funktionierte.

Dieses VoiceOver wird nun bei Leopard stark erweitert: die Unterstützung weiterer Braillezeilen für den taktilen Zugang per Blindenschrift ist ebenso neu wie die stark verbesserte Navigation, mit der sich in allen Anwendungen bestimmte Objekte nacheinander anspringen lassen. Mit »Alex« liefert Apple eine neue Stimme mit, die wirklich angenehm zu hören ist. Hier ein Beispiel (QuickTime).

Neu ist auch die Sprachausgabe in Stereo, bei der Objekte entsprechend ihrer Position im Raum ausgegeben werden – Stereo-Lautsprecher oder -Kopfhörer vorausgesetzt. Ebenfalls für die bei Apple typische Liebe zum Detail ist das deutlich hörbare Atemgeräusch der synthetischen Stimmen, im obigen Beispiel deutlich als Einatmen am Satzanfang zu hören. Dieser und andere kleine Kniffe, wie etwa die Optimierung auf die teilweise extremen Sprechgeschwindigkeiten verleihen dem ganzen einen ausgesprochen menschlichen Charakter.

Tipp: Zu VoiceOver existiert auch seit geraumer Zeit eine lebhafte Community namens MacVisionaries, in der sich blinde und sehbehinderte Apple-Nutzer gegenseitig Hilfestellung geben; weitere Infos auf Englisch findet man auch im Wiki von blindtechs.net unter »Guide to Voiceover basics«.

Für alle Tastaturnutzer interessant ist die Möglichkeit, den Ziffernblock alternativ mit Tastenkombinationen zu belegen, die sonst nur durch das gleichzeitige Drücken mehrerer Tasten erreichbar sind. Auch an anderen Anwendungen schraubt man weiter: so werden die in QuickTime-Filme eingebetteten Untertitel besser erreichbar; die systemweiten individuellen Einstellungen des Nutzers, also auch Kontrastschemata, Schriftgrößen etc. lassen sich von einem auf den anderen Rechner über das .Mac-Konto übertragen.

So, das war die siebte Ausgabe unseres wöchentlichen Podcasts zum Thema barrierefreies Webdesign. Weitere Meldungen zum Thema der heutigen Sendung finden Sie im Weblog von Einfach für Alle unter den Tags , und ; die Links gibt‘s wie üblich in der Mitschrift.

Wenn es Ihnen gefallen hat, hören wir uns nächste Woche wieder.