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WCAG 2 zum zweiten
Hallo und herzlich willkommen zur fünften Ausgabe des Podcasts von ›Einfach für Alle‹, der Aktion Mensch-Initiative für barrierefreies Webdesign. Da hier in NRW die Schulferien mit der Fussball-WM um Aufmerksamkeit kämpfen, zeigen bei unserem Angebot die Zugriffszahlen folgerichtig nach Süden. Deswegen gibt's diese Woche kein besonderes Thema, sondern den Wochenrückblick zu allem, was in Accessibility-Land wichtig war.
Autor: tc
Am Mikrofon heute Manfred »majo« Heinze und Tomas Caspers.
Letzte Runde für WCAG 2 abgelaufen
Am 22. Juni endete die Frist zur Abgabe von Kommentaren zum aktuellen Entwurf der Web Content Accessibility Guidelines 2. Wir hatten mehrfach im Blog darüber berichtet und der Sache auch einen eigenen Podcast gewidmet: das Echo ist eher durchwachsen.
Nachdem die Web Accessibility Initiative die Frist um drei Wochen verlängert hat sind nun insgesamt über 400 Kommentare eingegangen. Um es vorweg zu sagen: alle Kommentare haben wir nicht gelesen. Dazu waren es einfach zu viele, und zudem ist das Archiv der Kommentare schlichtweg unbenutzbar. Die Übersicht der über das Webformular eingegangenen Kommentare listet hunderte gleich benannter Links auf; wer was wozu gesagt hat erfährt man erst, wenn man sich durch die Links durchklickt.
Als Alternative zu dem Formular gab es auch weitere Möglichkeiten zur Einreichung von Kommentaren – entweder in Form einer Excel-Datei oder in unformatiertem Endlos-ASCII-Text. Alles nicht barrierefrei zu nutzen, und eine Recherche, ob Punkte bereits ausreichend behandelt wurden, oder ob der eigene Kommentar vielleicht schon mehrfach von anderen eingereicht wurde ist damit unmöglich.
Aber auch wenn man nicht sämtliche Kommentare gelesen hat, kann man erkennen, dass der Entwurf tendenziell abgelehnt wird. Einen Kommentar, der die Richtlinien für gut befindet haben wir nicht finden können. Oft beziehen sich diese nur auf Details, aber in sehr vielen Kommentaren wurden grundlegende Zweifel an wichtigen Eckpunkten der Richtlinien geäußert und diese Zweifel auch begründet.
Erschreckend finden wir es geradezu, dass einige dieser Kommentare aus der Ecke der schwergewichtigen Mitglieder der WCAG-Arbeitsgruppe selbst kommen. So zum Beispiel von Vertretern von IBM, AOL und Opera, um nur einige zu nennen, sowie Universitäten, Regierungs- und Nicht-Regierungs-Einrichtungen. Dies ging hin bis zu einem formellen Einspruch gegen die WCAG 2 selbst. Dieser Einspruch namhafter Experten aus der Szene fordert, dass Lernbehinderungen aus der Liste der Behinderungen gestrichen werden, die von WCAG 2 abgedeckt sind. Sie sind der Meinung, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Lernbehinderung in den Richtlinien nicht mehr berücksichtigt werden.
Die meisten Vorgaben für diese Gruppe befinden sich in der dritten Stufe der Richtlinien. Von dieser Stufe braucht man ja bekanntlich nur 50% zu erfüllen um sich ein Triple-A auf die Website zu heften. Wenn man es einigermaßen geschickt anstellt braucht man sich also nur die Level-3-Punkte herauszusuchen, die nicht anwendbar sind oder einfach zu erreichen sind. Schon sind alle Zielgruppen ausgeschlossen, für die Barrieren nicht nur technischer, sondern inhaltlicher Natur sind - wie bereits in den WCAG 1.0.
Auch aus Webentwickler-Kreisen war das Echo fast einheitlich ablehnend. Dass die Richtlinien schwer verständlich sind wird schon länger diskutiert - auch wir haben eine ganze Zeit gebraucht, um den Vorläufer – die WCAG 1.0 – zu verstehen und richtig anzuwenden. Das ist für sich genommen also noch nicht außergewöhnlich. Wie viele Menschen aber der Meinung sind, dass die WCAG 2 nicht nur schwer verständlich, sondern unverständlich sind hat uns dann doch erstaunt und sollte der Arbeitsgruppe zu Denken geben.
Eine ganze Reihe von Eingaben zeigen die Tendenz, dass man besser die von den WCAG 1 eingeschlagene Richtung nicht verlassen hätte. Vorgaben wie valider Code beispielsweise sollten wieder aufgenommen werden, und statt des unverständlichen Baseline-Konzepts sollte eher auf bereits bestehende W3C-Empfehlungen wie die User Agent Accessibility Guidelines (UAAG) verwiesen werden. Wie Joe Clark sagt: die WCAG 1 sind eigentlich ganz OK, sie könnten nur etwas frische Farbe gebrauchen.
Die Arbeitsgruppe hat übrigens ihre Charta bis Ende 2007 verlängert, vermutlich rechnet sie also selber nicht mehr damit, wie versprochen in diesem Jahr fertig zu werden. Uns werden die Themen also so schnell nicht ausgehen – leider.
Was war sonst noch wichtig?
Nicht viel, aber einen Blog-Post wollen wir Ihnen nicht vorenthalten, der den aktuellen Zustand der Webentwickler-Szene passend beschreibt. Luis Villa listet bei revoluser.com zehn Dinge auf, die er bei der @media-Konferenz gelernt hat:
- Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Webs liegt bei der Gemeinschaft und dem offenen Teilen von Informationen.
- Das Web dreht sich um Menschen und ihre Leidenschaften.
- Die Gemeinschaft ist der beste Lehrer. Spiele, lerne und teile.
- Usability wird immer mehr im Prozess des Produktdesigns aufgelöst.
- Die Gemeinschaft braucht keine Bedenken oder Theorien. Die Gemeinschaft braucht praktische Standards, und zwar heute.
- Das W3C verliert an Glaubwürdigkeit und Verständnis in der Gemeinschaft.
- Die goldenen Jahre von JavaScript kommen erst noch.
- Es gibt eine Notwendigkeit, das Webdesign weiter zu entwickeln, indem man alte Muster zerstört.
- Designer und Entwickler werden Dewickler und Entsigner.
- Spaß haben ist immer noch Bestandteil von diesem Web-Dings.
Endlich Ferien
Normalerweise kommt im Skript an dieser Stelle immer der Satz »Wenn es Ihnen gefallen hat hören wir uns nächste Woche wieder«. Wie eingangs erwähnt sitzen Teile unserer Zielgruppe aber bis zum 9. Juli vor dem Fernseher, im Stadion, oder am Strand. Deswegen machen auch wir Pause, die Mannschaft des EfA-Blogs macht in den nächsten Wochen leichtes Regenerations-Training und wir hören uns nach dem Endspiel wieder.