Wenn online und offline verschmelzen – wie Menschen mit Behinderung das mobile Web nutzen
Für viele Menschen sind mobile Endgeräte einfach nur praktische Kommunikations- und Informationsmittel, für Menschen mit Behinderung sind sie oft viel mehr: sie erleichtern das Leben an vielen Stellen und ermöglichen eine selbstbestimmte Teilhabe.
Mails abrufen, das Wetter checken oder schauen, was die Freunde auf Facebook machen, früher hat man das fast nur am heimischen PC gemacht. Doch fast unmerklich hat das mobile Internet unseren Alltag erobert.
Smartphones sind vielmehr kleine Computer als Telefone. Zusammen mit einem mobilen Internetzugang gibt es heute kaum noch etwas, wofür man das Smartphone nicht verwenden kann. Für Menschen mit Behinderung ist das nicht nur praktisch, es kann ihnen den Alltag oft entscheidend vereinfachen.
Die Vorzüge mobiler Endgeräte
Die mobilen Geräte haben gegenüber den großen Computern einige Vorteile. Die Oberfläche ist auf wichtige Elemente reduziert und dadurch leichter verständlich und zugänglich. Die vielseitige Nutzbarkeit der Smartphones verdankt sich jedoch auch der zahlreichen eingebauten Sensoren: Oft sind GPS, Kompass oder Beschleunigungssensoren integriert, über die Bluetooth-Schnittstelle können viele zusätzliche Erweiterungen verbunden werden.
Doch ihren durchschlagenden Erfolg bei Menschen mit Behinderung verdanken die Smartphones der integrierten Hilfssoftware: Viele Geräte haben Spracheingabe, Sprachausgabe oder Bildschirmvergrößerung in die Betriebssysteme integriert. Für vergleichbare Funktionen mussten früher hunderte oder gar tausende Euro ausgegeben werden. Die Idee einer Nutzbarkeit für alle ist in Smartphones und Tablets besser umgesetzt als bei jeder anderen Geräteklasse.
Mittlerweile gibt es viele spezielle Apps für Menschen mit Behinderung, die das selbständige und selbstbestimmte Leben erleichtern.
- Für Gehörlose ist es in vielen Situationen schwierig, einen Gebärdendolmetscher zu organisieren. Mit speziellen mobilen Apps können sie bei Bedarf einen Text-Dolmetscher zuschalten und damit zum Beispiel Vorlesungen an der Uni verfolgen oder den Arztbesuch erledigen (z.B. VerbaVoice).
- Es gibt verschiedene Apps für Menschen mit sprachlichen Einschränkungen. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Hilfen zur unterstützten Kommunikation. Die App Sono Flex bietet dem Benutzer eine Kombination von Grafiken mit Sprachausgabe: Wenn eine dieser Grafiken angetippt wird, liest das Smartphone den entsprechenden Text vor. Dadurch können viele Alltagsaufgaben besser bewältigt werden.
- Für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ist es oft schwierig, zum Beispiel ein barrierefreies Café zu finden. Mit Apps wie Wheelmap können sie gezielt nach für sie zugänglichen Orten suchen.
- Auch für Blinde ergeben sich neue Möglichkeiten. Durch die aktuellen Geräte von Apple wurden erstmals mobile Geräte mit integrierter Sprachausgabe und Vergrößerungssoftware erschwinglich. Mittlerweile ersetzen diese Geräte zusammen mit speziellen Apps einen ganzen Fuhrpark an teuren Hilfsmitteln. Dabei gibt es Apps zur Navigation, zur Farberkennung, zum Lesen von Beipackzetteln und vieles mehr. Durch die verbreiteten Touchscreens wird es Blinden zum ersten Mal möglich, den grafischen Aufbau von Webseiten zu erfassen.
Natürlich benutzen Menschen mit Behinderung nicht nur spezielle Apps. Skype wird sowohl von Blinden als auch von Gehörlosen gerne eingesetzt. Ansonsten sind auch Apps zum Bestellen von Taxis, zum Musik-Streaming oder Spiele beliebt – es gibt praktisch keine App, die nicht auch von Menschen mit Behinderung genutzt wird. Das meist auftretende Hindernis ist die oft mangelnde Zugänglichkeit, vor allem auch dann, wenn neue Geräte oder Betriebssysteme auf den Markt kommen.
Neue Technik schafft neues Bewusstsein
Mit dem Zugang zur Technik hat sich aber auch das Selbstbewusstsein von Menschen mit Behinderung verändert. Früher haben sich gelegentlich einzelne Menschen beschwert, wenn eine Website nicht barrierefrei war. Heute gibt es große Communities, die sich oft gemeinsam an die Entwickler von Apps wenden, um diese auf die schlechte Zugänglichkeit ihrer Anwendungen aufmerksam zu machen. Die App-Entwickler werden dadurch oft erst auf das Thema Barrierefreiheit und die Gruppe der Kunden mit einer Behinderung aufmerksam. Viele Entwickler nehmen solche Anregungen aus der Community gerne auf.
Gleichzeitig haben Smartphones bei vielen Menschen den Entwickler-Geist geweckt. Ein blinder angehender Physiotherapeut bastelte zum Beispiel eine Halterung, um das iPhone als einfachen Scanner verwenden zu können, ein Programmierer aus England hat eine Anwendung entwickelt, mit der das Smartphone als einfaches Hörgerät genutzt werden kann.
Wir stehen erst am Anfang
Durch mobile Endgeräte verwischen allmählich die Grenzen zwischen Online und Offline. Ein Blinder kann zum Beispiel ein Foto von einem ihm unbekannten Objekt machen, es bei facebook einstellen und seine sehenden Freunde fragen, worum es sich handelt. Die App Wheelmap wird nicht nur mobil genutzt, um barrierefreie Orte zu finden, sondern Nutzer können selber Orte einstellen und bewerten. Ohne die Nutzung von Smartphones wäre diese Anwendung kaum so erfolgreich. Der Dienst VerbaVoice wird zur kommunikativen Brücke zwischen Menschen, die sich ansonsten schwer oder gar nicht verständigen könnten.
Die Dynamik ist enorm, wenn man bedenkt, dass Smartphones erst seit relativ kurzer Zeit einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Wir stehen erst am Beginn einer spannenden Entwicklung.