Wege durch die Website – die Navigation
Die erste Lektion in der Mensch-Maschine-Interaktion dürfte sein, dass die Systeme selten genauso verwendet werden, wie sie gedacht waren. Das gilt vor allem für Software und Webseiten. Die Konzepter geben sich besondere Mühe, den Benutzer auf bestimmten Wegen durch die Webseite zu leiten. Es schadet aber selten, von diesen Wegen abzuweichen – im Gegenteil: unterschiedliche Nutzungsweisen erleichtern die Nutzung des Produkts. Dem Nutzer sollten daher möglichst viele Optionen angeboten werden, denn je näher das Produkt an seinen Nutzungsgewohnheiten liegt, desto eher wird er es auch weiterhin benutzen.
Webseiten werden immer komplexer, multimedialer und vielseitiger. Dennoch bleibt die Navigation das Rückgrat der Webseite. Im folgenden werden wir uns mit einigen Navigationskonzepten und ihren Vor- und Nachteilen beschäftigen.
Die Monohierarchie – klassische Navigation
Die meisten Webseiten basieren heute auf einer einfachen Hierarchie: Ober- und Unterkategorien. Die Kategorisierung ist ein eleganter Weg, um auch sehr große Mengen an Informationen zu organisieren. Man spricht von starker Hierarchie oder Monohierarchie, wenn jedes Objekt nur einer Ebene zugeordnet ist. Dazu ein Zitat aus Henrik Arndts Buch zur Informationsarchitektur:
»Die Strukturierung von Informationen mittels Hierarchien ist sehr effektiv. Jeder einzelnen Sektion sind nur die Eigenschaften zugewiesen, die sie von der ihr übergeordneten Kategorie unterscheidet. Alle anderen Eigenschaften ergeben sich aus der Position innerhalb der Struktur.«
(Henrik Arndt. Integrierte Informationsarchitektur. Springer 2006, Seite 135f.)
Jeder, der schon mal ein Kategorisierungssystem aufgebaut hat, ist sich der Schwäche dieses Systems bewusst. Denken wir an die Bibliothek, wo sich jedesBuch fast immer mehreren Sachgebieten zuordnen lässt und die Entscheidung, wo es schließlich eingeordnet wird, auf banalen Faktoren bis hin zur Größe des Einbands basieren kann.
Bei Webseiten haben wir im Großen und Ganzen das gleiche Problem im verschärftem Maße. Einerseits sollen zu viele Navigationspunkte auf der ersten Ebene vermieden werden, andererseits soll die Navigation nicht zu viele Unternavigationspunkte oder Unterebenen haben. Praktisch ist es kein Problem, eine einzelne Seite mehreren Navigationspunkten zuzuordnen, das widerspricht aber jeder Konzeptionspraxis.
Weiterführendes
- Louis Rosenfeld, Peter Morville: Information Architecture for the World Wide Web (PDF)
- Usability-Blog: Suchst Du noch oder findest Du schon? Navigationsmechanismen im WWW
- Jared M. Spool: Strategies for Categorizing Categories
- Kayla Knight: Planning And Implementing Website Navigation
- Rachel Nabors: Better User Orientation through Navigation
- Derek M. Jones: The 7±2 Urban Legend
- Edward Tufte: The magical number seven, plus or minus two: Not relevant for design
- Henrik Olsen: Warum visuelle Einfachheit der Usability schaden kann
- WCAG 2.0: 3.2.3 Konsistente Navigation
- WCAG 2.0-Techniken: G128: Anzeige der aktuellen Position in Navigationsleisten
- WCAG 2.0-Techniken:Navigation
Dieser Artikel erschien im Weblog von Domingos de Oliveira und wurde für ›Einfach für Alle‹ überarbeitet.
Eine simple Regel besagt, dass die Nutzer mit maximal drei Klicks das finden sollten, was sie gesucht haben, die Regel gilt allerdings als veraltet. Es geht weniger darum, die Zahl der nötigen Klicks zu minimieren als eher darum dem Nutzer klar zu zeigen, dass er auf dem richtigen Weg ist. Zum einen werden die Nutzer das Navigationskonzept nicht auf Anhieb verstehen. Zum anderen werden sie – auch wenn sich der Webmaster das wünscht – nicht jeden Navigationspunkt einmal auf Verdacht aufklappen, um zu sehen, ob das Gesuchte dort ist. Hier gilt die Faustregel: mit jeder weiteren Hierarchie-Ebene verliert man weitere Nutzer. Wer sich hoffnungslos in der dritten Ebene verlaufen hat, macht das, was die meisten erfahrenen Internet-Nutzer von Anfang an getan hätten: Sie rufen eine Suchmaschine auf, geben den Namen der Website und den Suchbegriff ein und werden wahrscheinlich schneller das Gesuchte finden. Der weniger versierte Nutzer wird der Site auf Dauer den Rücken kehren.
Das Problem bei den Hierarchien besteht darin, dass wir nur das sehen, was in der gerade geöffneten Ebene vorhanden ist. Öffnen wir eine Ebene, schließt sich eine andere. Aber kaum ein Mensch wird es auf sich nehmen, sich durch sämtliche Ebenen zu hangeln. Frei nach Murphys Gesetz ist das Gesuchte immer dort, wo man gerade nicht sucht.
Für Blinde ergibt sich das spezielle Problem, dass sie sich linear durch die Website bewegen. Wenn sie eine ihnen unbekannte Website öffnen, müssen sie mit dem Screenreader sämtliche Navigationspunkte durchgehen, um das Gesuchte zu finden. Und das machen sie nicht einmal, sondern sie müssen das bei jedem Neuladen der Seite wiederholen, nur kommen natürlich weitere Ebenen dazu, der Prozess verlängert sich also. Das ist ein generelles Problem für Tastaturnutzer, denn sie können die Navigationspunkte nicht mit dem Mauscursor direkt anspringen, sondern müssen mit der Tastatur durchtabben, was je nach Komplexität der Webseite sehr aufwendig sein kann.
Menschen mit kognitiver Behinderung haben oft Schwierigkeiten, sich in komplexen Strukturen zu orientieren. Verschärfend kommt hinzu, dass die Anbieter möglichst originell sein wollen oder jargonlastig sind und branchentypische Sprachregister bedienen. Auch Nutzer ohne kognitive Behinderung wissen meistens nicht, was der Texter mit Brokerage oder Investor Relations meint. Die Struktur der Seite orientiert sich oft nicht an den Bedürfnissen des Nutzers sondern am Organigramm des Unternehmens oder dem Corporate Wording. Beides ist für komplett Außenstehende – und das sind nun mal die meisten Nutzer eines öffentlichen Angebots – unverständlich und undurchschaubar.
Flache versus tiefe Navigationen
Navigationen sind entweder flach oder tief. Flache Navigationen haben viele Navigationspunkte auf der ersten Ebene, haben dafür aber wenige Ebenen. Tiefe Navigationen wiederum haben eher wenige Navigationspunkte auf der ersten Ebene, haben dafür aber mehr Ebenen. Ob man dem Nutzer eher 6 oder bis zu 9 Navigationspunkte zumuten kann, wird stark diskutiert. Tatsächlich scheint aber die Schlüssigkeit des Navigationskonzeptes entscheidender zu sein als die Zahl der Navigationspunkte. Online-Shops oder -Medien zum Beispiel haben oft deutlich mehr als zehn Navigationspunkte, und allein der Erfolg großer e-Commerce-Anbieter zeigt, dass Nutzer damit in der Regel zurecht kommen.

Grafische Darstellung einiger weniger Seiten im World Wide Web um en.wikipedia.org (Quelle: Wikimedia Commons)
Die Polyhierarchie
Die Polyhierarchie oder schwache Hierarchie ist die Zuordnung von Objekten zu mehreren Rubriken. Bekanntestes Beispiel bei Webseiten ist die Kategorisierung in Weblogs. Die Kategorie legt die generelle Einordnung eines Beitrags fest, während die Tags oder Labels eine präzisere Einordnung des Beitrags zulassen. Eine Tagcloud erlaubt durch die unterschiedliche Gewichtung der Worte eine schnelle Orientierung darüber, worüber der Autor hauptsächlich schreibt und gibt nebenbei auch die Möglichkeit, gezielter nach Beiträgen zu einem bestimmten Thema zu suchen, ohne sich den Kopf über den korrekten Suchbegriff zu zerbrechen. Soll man jetzt nach Barrierefreiheit oder Zugänglichkeit suchen, nach Internet oder eher nach Web? Die Verschlagwortung hilft bei der Entscheidung, denn der Autor kann echte und vermeintliche Synonyme für seine Beiträge vergeben. Ein Beitrag kann beliebig vielen Kategorien und Schlagworten zugeordnet werden.
Generell ist das Prinzip schwacher Hierarchien eine gute Lösung für Websites mit vielen Beiträgen zu unterschiedlichen Themen. Leider übertreiben es viele Blogger mit den Kategorien und Tags. Schlagworte werden eher großzügig und unsystematisch vergeben, viele Schlagworte sind so allgemein gehalten, dass sie eigentlich nicht zum Beitrag passen und dem Nutzer auch nicht weiter helfen. Das freie Redaktionssystem Drupal bietet einen systematischeren Ansatz, hier können ganze Vokabularien über ein eingebautes Taxonomie-System angelegt werden.
Auch für Menschen mit Behinderung kann eine Polyhierarchie durchaus Vorteile haben. Eine Schlagwortwolke erlaubt eine flachere Hierarchie als die Navigation. Wenn die Schlagworte präzise gewählt wurden, können die Beiträge zu einem bestimmten Thema wesentlich schneller gefunden werden als in einer verschachtelten Monohierarchie. Die allzu großzügige Vergabe von Kategorien und Schlagworten wiederum ist schwerer zu durchschauen als eine klassische Navigation.
- Man ist sehr viel schneller dabei, eine neue Kategorie anzulegen als einen neuen Punkt in der Hauptnavigation.
- Die Kategorien wachsen eher »wild«, Navigationen sind häufig schlüssiger aufgebaut als Kategorien.
- Wordpress erlaubt auch das Verschachteln von Kategorien, womit das Kategoriensystem die gleichen Probleme aufwirft wie eine klassische Navigation.
Letzten Endes müssen auch bei Polyhierarchien die gleichen Regeln wie beim Aufbau einer Navigation beachtet werden: die Zahl der Elemente spielt erst dann eine Rolle, wenn das gesamte Ordnungssystem unübersichtlich, unverständlich oder ungenau wird. Wer für jeden Beitrag eine neue Kategorie eröffnet und 30 Schlagwörter vergibt, hilft dem Nutzer nicht.