Personas mit Behinderung im Webdesign
Vor allem bei großen Webprojekten und bei der Entwicklung komplexer Programme werden häufig sogenannte Personas eingesetzt. Personas sind idealtypisch entworfene Personen mit realistischer Biographie, denen bestimmte technische Fähigkeiten und Vorgehensweisen am Computer zugeschrieben werden. Jede Nutzergruppe hat besondere Erwartungen daran, wie eine Website gestaltet sein und wie sie funktionieren sollte und diese Erwartungen sollten sich in den Personas widerspiegeln.
Zusammen mit Personas werden Szenarien eingesetzt. Szenarien definieren typische Aktionen auf der Website: der Kauf eines Produktes auf einer Shopping-Seite, eine Überweisung im Online-Banking und so weiter. Eine Persona bildet zusammen mit einem Szenario die Möglichkeit, spezifische Anforderungen an die Website zu definieren, die schon im Entwurfsprozess berücksichtigt werden können.
Personas mit Behinderung
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Weblog von Domingos de Oliveira und wurde für ›Einfach für Alle‹ überarbeitet.
Weiterführendes
- Ein Dokument des W3C zeigt, wie Menschen mit Behinderung im Internet unterwegs sind – das Dokument befindet sich allerdings noch im Entwurfsstadium
- Die Web-2.0-Studie der Aktion Mensch zeigt typische Probleme von Nutzern mit Behinderung im Social Web
- Benutzer in Webprojekte einbeziehen für eine bessere und einfachere Barrierefreiheit
- Accessibility in User-Centered Design: Personas
- WAI Site UCDUser Personas
- Curb Cut – Personas of Persons with Disabilities
- AEGIS Personas - free for the world to use
- Einen allgemeinen Einblick in den Entwurf von Personas gibt das Buch von Dan Brown. »Konzeption und Dokumentation erfolgreicher Webprojekte: Design und Planung von Websites strukturiert erstellen, dokumentieren und präsentieren.« mitp 2009
Auch Personas mit unterschiedlichen Behinderungen lassen sich in die Planung einer Website oder Anwendung einbauen. Dabei ist wichtig, dass Hilfstechnologien und behindertenspezifische Anforderungen bei diesen Personas untergebracht werden. Idealerweise sind folgende Gruppen bei den Personas vertreten:
- Blinde mit Screenreader und Braillezeile
- Sehbehinderte mit Vergrößerungssoftware
- Menschen mit motorischen Einschränkungen – Eye-Tracking oder Sprachsteuerung
- Gehörlose und schwerhörige Menschen
- Menschen mit Lernbehinderungen
Gehörlose und Menschen mit Lernbehinderungen benutzen normalerweise keine Hilfstechnik, dennoch haben sie besondere Anforderungen wie Texte in Leichter Sprache oder Gebärdenvideos. Bei dem Entwurf sehbehinderter Personas sollten zudem Farbfehlsichtigkeiten berücksichtigt werden.
Im Grunde müssen diese Personas nur einmal entworfen werden und das ist die meiste Arbeit. Schließlich müssen neben den Biographien auch die typischen Handlungsweisen auf Websites ermittelt werden, die durch die Behinderung und die Hilfsmittel bestimmt sind. Sind die Personas einmal erstellt, spricht nichts dagegen, sie projektübergreifend einzusetzen und gegebenenfalls anzupassen.
Sind die Personas mit ihren typischen Eigenschaften und Handlungsweisen entworfen, müssen projektbasierte Szenarien entwickelt werden. Eine Online-Banking-Anwendung erfordert andere Vorgehensweisen als eine Shopping-Plattform. Erst in Kombination mit projektspezifischen Szenarien sind Personas wirklich sinnvoll.
Beispiel: Verhaltensmuster im Shopping
Eine typische Shopping-Anwendung bietet unterschiedliche Vorgehensweisen. Viele Leute werden sich erst einmal die Sonderangebote auf der Startseite anschauen. Die nächste Gruppe sucht ein bestimmtes Produkt und benutzt dafür die vorhandenen Kategorien, um sich durch die Produktgruppen zu bewegen. Andere wiederum suchen nach einem bestimmten Produkt direkt über die Shop-Suchmaschine.
Auch beim Bezahlen gibt es ganz unterschiedliche Vorgehensweisen. Blinde werden vielleicht versuchen, sich alle Formularelemente einer Seite anzeigen zu lassen. Sie suchen nach den typischen Eingabefeldern für die Versandadresse oder nach einer Log-In-Möglichkeit. Menschen mit anderen Behinderungen suchen vielleicht eher nach bestimmten Symbolen wie Einkaufskörben oder Registrierkassen, wie sie von Shopping-Sites allgemein bekannt sind. Blinde suchen nach der Maske, wo sie ihre Adresse oder ihre Kontodaten eingeben können, während andere Gruppen vielleicht nach den typischen Kreditkarten-Symbolen Ausschau halten. So kann man den kompletten Prozess von der Auswahl der Waren bis zum Abschluss des Einkaufs für unterschiedliche Zielgruppen und Verhaltensmuster durchdeklinieren und optimieren.
Im Rahmen von Personas können auch Gründe erfasst werden, die zum Abbruch eines Kaufprozesses führen. Die einen bezahlen vielleicht lieber per Abbuchung, die anderen wollen das Geld überweisen und wiederum andere nehmen einen Payment-Dienstleister in Anspruch. Viele werden den Bestellprozess abbrechen, wenn sie die Versandbedingungen, Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Richtlinien zum Datenschutz nicht dort finden, wo sie diese erwarten. Gehörlose werden häufig den Einkauf abbrechen, wenn es neben einer Telefonnummer keine funktionierende Kontaktmöglichkeit per Fax oder E-Mail gibt. Blinde werden ihre Bankverbindung nicht eingeben, wenn sie nicht feststellen können, ob die Daten sicher übertragen werden.
Daneben können auch rein technische Gründe zum Abbruch des Einkaufs führen. Dazu gehören etwa die schlechte Platzierung oder Benennung von Bedienelementen oder eine mangelhafte Tastaturbedienbarkeit.
Vorteile von Personas
Ein Vorteil von Personas besteht darin, dass viele typische Probleme durch sie anschaulicher werden. Es macht emotional einen Unterschied, ob man sagt, Hans kann nicht mit CAPTCHAs umgehen, weil er blind ist als wenn man sagt, Blinde können nicht mit CAPTCHAs umgehen. Das Problem wird sehr viel greifbarer, weil man einen Namen und einen Menschen mit nachvollziehbaren Problemen vor sich hat statt einer anonymen Gruppe. Wenn über den Entwurf einer Website diskutiert wird, können die Entwickler einfach die Frage stellen: »Würde Hans damit zurecht kommen?«. Ein Problem wird wesentlich anschaulicher, wenn man es an einer konkreten Person mit einem Namen und einer Biographie festmachen kann. Es ist leichter, sich in die Rolle einer Person zu versetzen als in die Rolle einer Gruppe.
Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Anforderungen der Nutzer schon sehr früh im Entwurfsprozess erfasst und berücksichtigt werden können. Eine Anwendung nachträglich barrierefrei zu machen ist sehr viel teurer und aufwendiger, als die Anforderungen von vorneherein umzusetzen.
Vorteil gegenüber Nutzertests
Personas werden vor allem bei der Definition von Anforderungen und im Entwurfsprozess verwendet. Viele Probleme, die ansonsten erst bei Nutzertests herauskommen würden, dürften so schon im Entwurfsprozess gelöst werden. Personas sind aber kein Ersatz für Tests mit echten Nutzern.