Interview zum Thema ›barrierefreies Internet‹
Die Bundesregierung will durch die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologie die Teilhabe und Selbstbestimmung behinderter Menschen verbessern. Deshalb arbeitet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales augenblicklich an zwei Projekten in diesem Bereich: 1) Der Überarbeitung der »Barrierefreie Informationstechnik Verordnung« (BITV) und 2) dem Aufbau einer Internetplattform im Sinne eines ›one-stop-shop‹ für Belange von Menschen mit Behinderungen. Dort sollen vorhandene und relevante Internetangebote gebündelt oder vernetzt werden.
Ein Interview mit Erika Huxhold, Leiterin der Abteilung V ›Belange behinderter Menschen, Rehabilitation, Sozialhilfe‹.
- Frage: Frau Huxhold, welche konkreten Projekte wurden 2007 angegangen?
- Antwort: Die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologie kann die Teilhabe und Selbstbestimmung behinderter Menschen verbessern. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat deshalb in diesem Jahr zwei Projekte in diesem Bereich aufgegriffen.
- Zum einen geht es um die »Barrierefreie Informationstechnik Verordnung« (BITV). Drei Jahre nach dem Inkrafttreten der Verordnung war eine Evaluierung vorgesehen, die einen Überarbeitungsbedarf ergab. Dazu haben wir unter Federführung des BMAS eine Arbeitsgruppe eingerichtet.
- Außerdem beabsichtigt das BMAS im Rahmen des eGovernment-Programms der Bundesregierung ein Projekt zum Thema »eGovernment-Strategie für Teilhabeleistungen und Belange behinderter Menschen« zu entwickeln. Hierzu wurde im Juni 2007 im Arbeitsministerium eine Projektgruppe gebildet. Als ersten Schritt ist an den Aufbau einer Internetplattform im Sinne eines »one-stop-shop« für Belange von Menschen mit Behinderungen gedacht. Vorhandene und relevante Internetangebote sollen gebündelt oder vernetzt werden. Diese zentrale Plattform kann dann Ausgangspunkt für weitere eGovernment-Vorhaben sein, mit dem Ziel, Dienstleistungen durch eGovernment für die Bürgerinnen und Bürger einfacher und schneller zugänglich zu machen sowie verwaltungstechnische Abläufe effizienter zu gestalten.
- Frage: Wo liegt der Vorteil für die Nutzer, speziell für Nutzer mit Behinderungen?
- Antwort: Für Menschen mit Behinderungen ist außerordentlich wichtig, mittels barrierefreier IKT an Informationen zu gelangen und aktiv an der Kommunikation über das Internet teilzunehmen. Deshalb muss sichergestellt sein, dass die behinderten Menschen in Deutschland das Recht auf Gleichbehandlung und Teilhabe auch auf diesem Weg durchsetzen können.
- Bei der eGovernment-Strategie geht es darüber hinaus um die verbesserte Nutzung der Serviceleistungen von Instrumenten der Teilhabe behinderter Menschen über das Internet. So ist vorstellbar, mit Hilfe von elektronischen Informations- bzw. Kommunikationstechnologien auch die verschiedenen Verfahrensschritte der Leistungsträger so zu vernetzen, dass z. B. beim Persönlichen Budget auch eine elektronische Antragstellung und Bescheiderteilung entwickelt wird.
- Frage: Was erwartet uns in der kommenden Zeit bei den gesetzlichen Rahmenbestimmungen?
- Antwort: Neben der Überarbeitung der BITV bereitet das BMAS die Ratifikation der UN-Behindertenkonvention vor. Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, Informationen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, auch Menschen mit Behinderungen angemessen und ohne Zusatzkosten zur Verfügung zu stellen. Im Laufe der Ratifizierung wird sich zeigen, ob an der ein oder anderen Stelle eine Anpassung geltender Regelungen erforderlich sein wird.
- Frage: Wie wird sich die BITV den technischen und inhaltlichen Entwicklungen des Internets anpassen?
- Antwort: Die mit der BITV zusammenhängenden praktischen und technischen Problemstellungen sind sehr unterschiedlich. Die Überlegungen zielen darauf, allen Behinderungsarten gerecht zu werden. Hierbei stellt sich beispielsweise die Frage inwieweit Web-Inhalte mittels Videounterstützung für gehörlose Menschen in Gebärdensprache aufbereitet werden können. Eine andere Frage betrifft die Forderung nach Informationen in einfacher Sprache für lernbehinderte Menschen und Menschen mit geistiger Behinderung. Und natürlich soll die BITV im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Internationalen Standards - Stichwort WCAG 2.0 - und im Hinblick auf die technischen Neuerungen, z. B. Web 2.0 Angebote, angepasst werden.
- Frage: Sind Menschen mit Behinderungen an der Weiterentwicklung beteiligt?
- Antwort: Für eine Überarbeitung der BITV sind die Erfahrungen der Verbände behinderter Menschen von großer Bedeutung. Die Projektgruppe führt daher regelmäßige Erfahrungsaustausche mit den behinderten Menschen sowie den entsprechenden Verbänden durch. Zuletzt fanden am 17. September 2007 Gespräche mit den Verbänden der gehörlosen und schwerhörigen Menschen sowie der lern- und geistig behinderten Menschen statt. Die Projektarbeitsgruppe ist so konzipiert, dass zuerst in kleinen Gruppen mit den jeweiligen Verbänden und Experten Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden, um diese dann mit allen Behindertenverbänden zu diskutieren und auf den Weg zu bringen.
- Frage: Wann ist mit der überarbeiteten BITV zu rechen?
- Antwort: Auch die überarbeitete Version der BITV soll sich an den vom World Wide Web Consortium herausgegebenen Standard »Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)« orientieren. Anfang 2008 soll die Version WCAG 2.0 erscheinen, die als Grundlage für eine Fortschreibung der BITV dient. Dann kann voraussichtlich im Frühjahr 2008 die Projektarbeitsgruppe einen ersten Entwurf vorlegen. Denkt man optimistisch – und das tue ich – dann können wir schon 2008 eine überarbeitete BITV in Kraft setzen.
- Frage: Welche Schritte plant die Bundesregierung, auch privatwirtschaftliche Anbieter im Netz von den Vorteilen des barrierefreien Internets zu überzeugen?
- Antwort: Zur Umsetzung der Barrierefreiheit wurde im BGG das Instrument der Zielvereinbarung geschaffen, mit dem anerkannte Behindertenverbände zusammen mit der Wirtschaft die Ziele zur Herstellung von Barrierefreiheit selbst bestimmen und vereinbaren können. Die Zielvereinbarung überlässt es den Beteiligten, konkrete Regelungen zur Herstellung von Barrierefreiheit zu treffen, die den jeweiligen Verhältnissen und Bedürfnissen angepasst sind und so flexible und verhältnismäßige Lösungen ermöglichen. Beispielhaft ist hier die Zielvereinbarung der Verbände mit der Firma Pfizer Deutschland GmbH, die ihre Internetseiten barrierefrei gestalten werden.
- Eine stärkere Nutzung des Instruments der Zielvereinbarungen durch die Verbände behinderter Menschen und Unternehmen ist aus Sicht des BMAS wünschenswert. Das BMAS prüft die Möglichkeit einer Förderung bestehender Kompetenzzentren für verschiedene Bereiche der Barrierefreiheit (Mobilität, barrierefreies Bauen, Kommunikation), um damit auch die Verbände und Unternehmen beim Abschluss weiterer Zielvereinbarungen unterstützen zu können.