BIENE 2006 – Rede von Franz Thönnes

Rede von Franz Thönnes, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales anlässlich der Verleihung der BIENE 2006 am 8. Dezember 2006 in Berlin.

08.12.2006

Sehr geehrter Herr Gutschick,
sehr geehrter Prof. Kubicek,
sehr geehrte Mitglieder der Jury und des fachlichen Beirates,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

»Die Biene fliegt nicht dorthin, wo sie keine Waben findet.«

So ein Sprichwort aus Estland. Also fliegt sie nur dorthin, wo sie etwas Gutes findet, wo sie etwas findet von dem man zehren kann, kurzum wo ein gutes Produkt ist.

So wird es auch heute Abend wieder sein, wenn der BIENE Award für barrierefreie Internetlösungen zum vierten Mal verliehen wird.

Danke an die Aktion Mensch und an die Stiftung Digitale Chancen.
Danke für die Einladung und auch Danke im Namen von Bundessozialminister Franz Müntefering.
Umso mehr freue ich mich, dass ich an seiner Stelle heute zu diesem überaus erfreulichen Termin bei Ihnen sein darf.

Es geht um Chancen. Es geht um Teilhabechancen für Menschen mit Behinderungen. Beim Engagement für gleiche Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung geht es immer darum, Barrieren, Hindernisse zu überwinden.

  • Physische Barrieren wie eine zu kleine Schrift auf einer Homepage.
  • Das Fehlen einer Rollstuhlrampe vor einem Theater oder Restaurant.
  • Barrieren bei der Einstellung oder Barrieren in den Köpfen, Vorbehalte und Berührungsängste gegenüber Menschen, die ein Handicap haben.

Schön, dass wir heute wieder gute Beispiele kennenlernen, wie solche Hindernisse beseitigt werden können. Es sind Beispiele für das Engagement um Teilhabe und Chancengleichheit, das in allen Bereichen des gesellschaftlichen Miteinanders stattfindet. In der Kommune, in der Firma, in der Nachbarschaft und im Kulturbetrieb.

In einer globalisierten Welt kann der Einsatz für Teilhabe nicht an nationalen Grenzen Halt machen. Es freut mich ganz besonders, dass wir auch auf internationaler Ebene Schritt für Schritt vorankommen:

Internationales

Voraussichtlich Mitte nächster Woche wird die 61. UN-Generalversammlung in New York die UN-Menschenrechtskonvention für behinderte Menschen annehmen.

Die beitretenden Staaten verpflichten sich hierbei, dass Informationen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, auch Menschen mit Behinderungen zugänglich sein müssen. Und zwar angemessen und ohne zusätzliche Kosten. Gleichzeitig werden Privatwirtschaft und Massenmedien aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Menschen mit Behinderung in ihrer Informationsfreiheit nicht beschränkt werden.
Denn der freie Zugang zu Information ist in modernen Wissensgesellschaften ein immer kostbarer werdendes Gut. Und zwar für alle Menschen, ob nun behindert oder nicht.

In Deutschland haben wir bereits einiges auf den Weg gebracht, seit im Jahre 1994 unser Grundgesetz um den Satz ergänzt wurde: »Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden«.

Aber Papier ist geduldig. Es kommt darauf an, dass aus Worten Taten werden. Und dass sich an der Lebenssituation der Menschen mit Behinderung tatsächlich etwas ändert. Mit Beschlüssen allein ist es nicht getan! Hier sind alle gefordert, die in Politik und Gesellschaft Verantwortung tragen!

Seitdem dieser wichtige Satz in unserer Verfassung steht, arbeiten daher die Verbände behinderter Menschen und die Politik daran, dass Teilhabe, Selbstbestimmung und Gleichstellung behinderter Menschen zu einer Selbstverständlichkeit werden.

Dass behinderte Menschen in die Mitte unserer Gesellschaft gehören, das machen zahlreiche Gesetze deutlich: das Sozialgesetzbuch IX, das Behindertengleichstellungsgesetz und das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Es sind – um im Eingangsbild zu bleiben – die Waben einer konsequenten Bürgerrechtspolitik. Die Waben für die gesellschaftliche Emanzipation behinderter Menschen. Diesen Wabenbau wollen wir konsequent fortsetzen.

BGG

Mit dem Behindertengleichstellungsgesetz wurde 2002 bereits ein umfassender Begriff von Barrierefreiheit eingeführt. Er setzt international Maßstäbe. Und er macht deutlich, dass behinderte Menschen nicht nur an physische, sondern oft auch an kommunikative Barrieren stoßen.

Internet-Seiten, die beispielsweise für behinderte Menschen nicht navigierbar oder für Lernbehinderte nicht verständlich sind, sind nun mal nicht barrierefrei. Sie grenzen viele der ca. 8 Millionen behinderten Menschen in Deutschland aus.

Barrierefreiheit im Internet ist aber keinesfalls nur eine notwendige Voraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft. Im Gegenteil: Barrierefreiheit im Internet ist für jeden relevant, der das weltweite Netz nutzt. Und so ist immer daran zu arbeiten eine umfassende Barrierefreiheit umzusetzen.

BITV

Gesetzgeberische Maßnahmen sind das Eine. Ihre Umsetzung in die Praxis das Andere. Da sind wir als Bundesverwaltung mit der Umsetzung der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik (BITV) schon ganz gut. Dies hat sich unter anderem auch bei Evaluierung der entsprechenden Verordnung gezeigt.

Aber, wir wollen noch besser werden:
Vielleicht bündeln wir die Zuständigkeiten für die BITV – und auch für die beiden Verordnungen nach dem BGG – beim BMAS, da unser Haus einen guten Zugang und einen hohen praktischen Bezug zu den Themenkreisen der Verordnungen hat.

Und wir wollen den Kreis derjenigen, die von der BITV profitieren erweitern. Und die BITV im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Internationalen Standards – Stichwort WCAG 2.0 – und auf die technischen Neuerungen anpassen.

Das will unser Ministerium gemeinsam mit anderen Institutionen und den Verbänden behinderter Menschen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe angehen. Dazu gehört dann auch die Beratung der Möglichkeiten zur zusätzlichen Einbeziehung der berechtigten Interessen der gehörlosen- und lernbehinderten Menschen.

Wir wollen auch hier mit gutem Beispiel voran gehen. Eigenständige Nutzung, möglichst ohne fremde Hilfe, das ist die Messlatte, die der Bund in allen Bereichen, in denen er Verantwortung trägt, überspringen will.

Anbieter

Ein weiterer Aspekt ist wichtig: Die BITV, die doch eigentlich nur für den Bereich der Bundesbehörden bindend ist, hat, und ich kann es mit den Worten des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes sagen, weit über ihren Geltungsbereich hinaus das Internet in Deutschland entscheidend beeinflusst.

Unsere guten Argumente haben sich nicht nur bei den Ländern herumgesprochen. Auch Unternehmen befassen sich ohne gesetzlichen Zwang mehr und mehr mit dem Thema Barrierefreiheit im Internet und dessen praktischer Umsetzung.

Auf der einen Seite ist für die Schaffung von barrierefreien Internetseiten aus meiner Sicht der Abschluss von Zielvereinbarungen ganz wichtig. Hier sind die Behindertenverbände gemeinsam mit den Unternehmen am Zuge. Erste gute Beispiele wie die Zielvereinbarung mit Pfizer gibt es bereits: Aber das Instrument sollte meiner Auffassung nach von beiden Seiten intensiver genutzt werden.

Auf der anderen Seite trägt der BIENE-Award zweifellos einen großen Teil zur Motivierung und Stimulierung bei. Wir brauchen Multiplikatoren wie Sie. Die Verleihung des BIENE-Award hat dem Thema barrierefreies Internet eine unvergleichlich hohe Medienaufmerksamkeit bereitet. Nicht zuletzt ist das ein Verdienst der Aktion Mensch und der Stiftung Digitale Chancen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die BIENEN sowie ihre künftigen Besitzerinnen und Besitzer beginnen schon zu summen. Danke an die Jury. Sie hatte es nicht leicht und sie hat es sich nicht leicht gemacht. Und auch ich bin sehr gespannt auf die Beiträge der heutigen Preisträger, auf die Diskussion über die Weiterentwicklung der BITV in den nächsten Monaten mit Ihnen allen - und natürlich darauf, auf wen der BIENE-Award 2006 nun fliegt!

In diesem Sinne: Ihnen und uns allen barrierefreie Flüge in der Welt des Internets und für die Zukunft weiterhin gemeinsame Erfolge für Barrierefreiheit und Teilhabe!