Anmerkungen: Zur Hölle mit WCAG 2
Anmerkungen von Dr. Andreas K. Bittner zur Übersetzung des Artikels »To Hell with WCAG 2« (englisch / deutsch) von Joe Clark.
Übersetzung: akb

Der Kanadier Joe Clark ist einer der profiliertesten Experten zum Thema Barrierefreiheit. Er bezeichnet sich als Journalist und Berater für Zugänglichkeit (accessibility consultant) und ist Autor des Buches Building Accessible Websites (2002), das nicht nur im englischsprachigen Raum ein Standardwerk ist. Das komplette Buch ist im Netz unter joeclark.org/book zu finden. Clark engagierte sich lange und mit zunehmend kritischer Distanz in der WAI-Arbeitsgruppe des W3C. Insbesondere befasst er sich mit dem Thema Multimedia und Fragen der Zugänglichkeit von Filmen im Web und anderswo.
A List Apart (ALA) versteht sich als Online-Magazin »für Menschen, die Websites machen«. Das klingt bescheiden für eine digitale Publikation, die sich sehr engagiert und international anerkannt mit dem Design, der Entwicklung und der Bedeutung von Web-Inhalten beschäftigt. Und dabei konsequent Web-Standards einfordert.
Bereits Mitte November 2003 hat Joe Clark auf ALA einen vielbeachteten Artikel über den (noch immer) laufenden Prozess der Aktualisierung und Neuformulierung der Zugänglichkeitsrichtlinien veröffentlicht. Ein Prozess, der sich schließlich in Gesetztexten niederschlagen kann. Damals Grund genug für Clark, zu warnen, zu lamentieren und zu appellieren. Clark forderte alle Web-Entwickler auf, den aktuellen Stand zu kommentieren, Beispiele zu liefern, sich einzumischen – damit die sprachliche und inhaltliche Neugestaltung der Richtlinien nicht an ihrem eigenen Anspruch scheitert und die Barrierefreiheit noch vor sich selbst gerettet werden kann.
Inzwischen, dreieinhalb Jahre später, ist der WCAG 2-Prozess noch immer nicht beendet. Am 27. April 2006 wurden jetzt drei zentrale Dokumente veröffentlicht. Die WAI lädt - mit unangemessen kurzer Frist - zu letzten Kommentaren ein. 450 Seiten Papier, an dem Experten mehr als sieben Jahre gearbeitet und redigiert haben. Das ist der Aufhänger für Clarks neuen Artikel »Zur Hölle mit WCAG 2.0«. Rief er 2003 noch öffentlich zur Rettung der WCAG auf, geht er nun einen anderen Weg, den er selbst als elitär und möglicherweise sogar hochmütig bezeichnet. Clark hat mit Gleichgesinnten eine Art Geheimbund, die WCAG-Samurai, gegründet. Während er den offen-partizipativen WCAG-Prozess für ineffizient und die WAI Arbeitsgruppe für eine »Gurken-Truppe« hält, will er zusammen mit (selbsternannten) Experten die alte WCAG von Fehlern befreien, verbessern und aktualisieren. Eine WCAG 2.0 lehnt er ab.
Inzwischen sind über 100 Kommentare zu Clarks Text bei ALA eingegangen.
Anmerkungen zum deutschen Text:
Die Lektüre des Originaltextes von Joe Clark stellt eine gewisse Herausforderung dar, richtet er sich doch an ein Fachpublikum, das über mehr als grundlegende Kenntnisse und Erfahrungen zum Thema Web-Entwicklung verfügt. Es ist in der Regel auch vertraut mit Organisation und Arbeitsweise des World Wide Web Consortium (W3C) und der Web Accessibility Initiative (WAI) sowie dem Status, dem Inhalt und dem Redaktionsprozess der Zugänglichkeitsrichtlinien für Web-Inhalte (Web Content Accessibility Guidelines) – kurz WCAG.
Joe Clark zählt sich zu den sogenannten »Standardistas«, also Web-Entwicklern, die meinen, HTML und CSS wirklich verstanden zu haben und strikt standardkonform arbeiten. Diese Web-Entwickler im wirklichen Leben können die abstrakt-akademischen Vorgaben der WAI längst nicht mehr nachvollziehen. Clark selbst ist, möglicherweise auch aus Ungeduld und persönlicher Enttäuschung, mit den Jahren immer polemischer und schärfer in seiner Kritik geworden. Das spiegelt sich im Text wieder. Wir haben uns deshalb ausnahmsweise dafür entschieden, die »Du«-Form beizubehalten, um die persönliche Ansprache und die Atmosphäre des englischsprachigen Artikels möglichst original wiederzugeben.
Der Übersetzer nimmt für sich nicht in Anspruch, ein kongenialer Interpret des scharfzüngigen und bisweilen sarkastischen Joe Clark zu sein. Der geneigte Leser möge nicht überkritisch sein. Erkennt er Verschlechterungen im Vergleich zur Originalversion von Clark, dann kann dies durchaus zutreffen. Denn auch die Sprache ist eine Barriere. Bevor er sich indes über holprige Formulierungen, gewundene Phrasen und andere Merkwürdigkeiten in Passagen mokiert, in denen die WCAG- zitiert bzw. ins Deutsche übertragen werden, bittet der Übersetzer zunächst um einen gnädigen Blick in den Originaltext. Denn hier wird bisweilen deutlich, warum Clark eine so scharfe Klinge gegen das Paralleluniversum der WAI führt.
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