Mobile Barrierefreiheit – Wie denken Sie darüber und was ist an dem Thema wichtig?

Rund um das Thema mobile Endgeräte, digitale Barrierefreiheit und mobile Accessibility gibt es viele Meinungen, Überlegungen und Ideen. Wir fragen bei Menschen nach, die das Thema interessiert und dazu etwas zu sagen haben.

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Interview mit Barbara Wolterstädt

Frau Wolterstädt, wie relevant ist das Thema »Accessibility« und »Barrierefreiheit« bei der mobilen Internet-Nutzung für Sie?
Ich bin 65 Jahre alt und zum Glück noch recht gesund. Ich selber nutze das mobile Internet nach und nach immer mehr. Für mich persönlich bedeutet »Barrierefreiheit im mobilen Internet«, dass ich die App-Symbole auf dem Bildschirm und die Anwendungen dahinter gut lesen kann. Das heißt auch, dass der Bildschirm aufgeräumt sein muss und der Bildschirm eine entsprechende Größe haben muss.
Welche Erfahrungen haben Sie selber als Nutzerin mobiler Endgeräte (z.B. Smartphone) mit Barrierefreiheit gemacht?
Ich habe jetzt mein zweites Smartphone. Das erste hatte einen ziemlich kleinen Bildschirm. Da hatte es keinen Spaß gemacht, mobile Anwendungen zu nutzen. Das war mir alles zu klein. Jetzt habe ich ein besseres Gerät mit einem größeren Bildschirm. Da nutze ich mehr Anwendungen. Ich glaube, dass werden mit der Zeit auch noch mehr Anwendungen werden.
Ich nutze z.B. Google Maps, die BVG-App, ein Notizprogramm für Notizen, wenn ich unterwegs bin, auch für meinen Einkaufszettel.
Ich nutze die Kamera und »What’s App«, ein Programm, mit dem man Fotos und Nachrichten kostenlos versenden kann. Und dann gefällt mir eine App besonders: sie heißt »Global News«. Mit ihrer Hilfe kann man Zeitungen aus aller Welt lesen. Das mache ich z.B. in der U-Bahn. Ich freue mich über die Möglichkeit, dass man mehrere Startbildschirme anlegen kann. Ich nutze zwei Startbildschirme auf die ich die Apps gelegt habe, die mich besonders interessieren.
Was muss und kann verbessert werden? Welche Aspekte der Barrierefreiheit sollten mobile Internet-Geräte erfüllen, hinsichtlich verschiedener Behinderungen (Sprache, Sehen, Hören, Motorik, etc.)?
In der Senior Research Group an der TU-Berlin, in der ich Mitglied bin, beschäftigen wir uns mit diesem Thema und arbeiten auch in einigen Projekten mit, bei denen es um Mobilität im urbanen Raum geht. Wir sind bestrebt, so früh wie möglich an einem Projekt mitzuarbeiten, so dass unsere Anforderungen bereits in der Projektphase berücksichtigt werden und unsere Meinung nicht erst beim bereits fertigen Gerät gefragt wird.
Hier ganz kurz einige Anforderungen an mobile Geräte zur Nutzung für Ältere und Menschen mit Behinderungen:
  • Die Geräte müssen eine Mindestgröße haben, damit man sie bedienen kann. Sie dürfen aber andererseits nicht zu groß sein, denn man möchte sie ja mitnehmen können. Wir haben für ein Projekt Tablet-PCs getestet und sind zu dem Schluss gekommen, dass Geräte höchstens so groß wie E-Books sein dürfen.
  • Die Geräte müssen robust sein und dürfen nicht beim ersten Runterfallen kaputt gehen. Sie müssen wetterfest sein.
  • Sie müssen individuell an die Bedürfnisse der Nutzerin bzw. des Nutzers angepasst sein. Da man sich heute so und morgen so fühlt, muss man mehrere Profile hinterlegen können. Das ist für die Beschreibung notwendig. Heute gehe ich schneller und morgen gehe ich langsamer. Wann muss ich losgehen, um von A nach B zu kommen?
  • Sprachein- und -ausgabe muss möglich sein. Dazu müssen bequeme Kopfhörer mitgeliefert werden, so dass man die Sprache gut hört und das Umfeld nicht belästigt.
  • Die Schriftgröße muss angepasst werden können. Die App-Symbole müssen für diese Anwendergruppe größer sein und deutlich die Anwendungen zeigen, für die sie gedacht sind.
  • Die Geräte sollten modular aufgebaut sein, so dass man nur die Anwendungen nutzt, die man auch nutzen möchte. Und hier gilt: lieber weniger anzeigen, aber das in guter Qualität.
  • Die Anwendungen selber sollte auch nur das beinhalten, was der Nutzer wissen möchte. Z.B. muss ein Navigationsprogramm für Ältere und Behinderte auch anzeigen, ob ein U-Bahnzugang behindertengerecht ist und wo die nächste Toilette bzw. Behindertentoilette ist. Rollstuhlfahrer z.B. müssen über die Beschaffenheit des Bürgersteiges Bescheid wissen und an welcher Stelle abgesenkte Straßenübergänge vorhanden sind.
Weitere Informationen wie Restaurants und ggf. Einkaufsmöglichkeiten kann man sich über andere Anwendungen anzeigen lassen. Man muss ja auch immer bedenken, dass jedes System gepflegt werden muss.
Können Sie Beispiele nennen, bei denen mobile Barrierefreiheit überzeugend umgesetzt worden ist?
Es wird ja zurzeit an vielen ähnlichen Projekten im Land gearbeitet, die aber noch nicht fertig, bzw. im Einsatz sind. Mir fällt da erst einmal ein Projekt aus Saarbrücken ein, das natürlich nur in einer kleineren Stadt realisiert werden kann. Ich habe es auf dem Seniorentechniktag des AAL-Kongress im Januar 2013 gesehen. Hier haben die Nutzerinnen und Nutzer ein Funkmodul, mit dem sie sich in ein System einloggen, wenn sie den ÖPNV in Saarbrücken nutzen wollen. Sie können von zu Hause abgeholt werden und zur Bahn bzw. zum Bus gebracht werden. Auch beim Um- und Aussteigen gibt es Hilfe vor Ort.
Welche Potenziale sehen Sie für Nutzerinnen und Nutzer mit Behinderungen bei diesem Thema?
Das o. g. Beispiel ist auf eine Stadt wie Berlin so nicht anwendbar. Projekte, die hier wie in anderen Großstädten eingesetzt werden könnten gibt es einige. Sie müssen aber erst zur Anwendungsreife gebracht werden. Eines dieser Projekte möchte ich ein kleines bisschen näher vorstellen. Es ist das Projekt »WikiNavi«. Hier soll ein Navigationssystem für Personen mit körperlicher Behinderung in urbanen Gebieten mit vielfältigen Mobilitätsangeboten entwickelt werden. Um das System mit möglichst wenig Aufwand pflegen zu können, spielt der WiKi-Gedanke eine Rolle. Man möchte die Nutzerinnen und Nutzer der Software anregen, aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen das System mitzugestalten und Fehler und Auffälligkeiten zu melden, so dass alle einen Nutzen davon haben.
Speziell an Sie gerichtet: Welche »Good Practice« App-Beispiele fallen Ihnen spontan ein?
Ehrlich gesagt, fallen mir da nur Google Maps und für Berlin die »BVG«-App ein. Es gibt bestimmt weitere gute Anwendungen.Zum Schluss noch eine kleine Bemerkung. Barrierefreie Anwendungen und Geräte können nur mit denen erfolgreich entwickelt werden, die diese auch nutzen sollen. Da nicht alle Senioren Englisch sprechen, sollte die Sprache bei der Vorbereitung und Durchführung  von Kongressen und Podiumsdiskussionen, auf denen man über diese Themen redet, Deutsch sein. Das ist auch ein Beispiel für Barrierefreiheit.