Einfach an alle denken

E-Commerce, Kommunikation, Information: Das Internet eröffnet Menschen mit Behinderung nicht nur vielfältige Möglichkeiten für Alltag und Freizeit, sondern auch neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Denn im Web gibt es keine Stufen, die für Rollstühle unpassierbar wären, keine unverständlichen Ansagen für Schwerhörige oder Gehörlose. Technische Hilfsmittel erschließen auch Blinden die Contents der Websites. Es könnte so schön sein – wenn einfach alle an alle dächten.

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Autorin: mar

Foto: Anna-Maria Courtpozanis Vor sechs Jahren war ich Hausfrau und Mutter. Mir fiel die Decke auf den Kopf. Da besuchte ich einen Internetkurs für blinde Menschen. Seitdem hat sich viel geändert. Das Internet wurde für mich Tor zur Welt. Ich beendete mein Studium der Sozialpädagogik und fand sogar meinen jetzigen Arbeitsplatz im Web – über eine Stellenanzeige in einer Newsgroup. Das Internet ist aus meinem Leben gar nicht mehr wegzudenken. Ich nutze es zum Einkaufen oder um Verkehrsverbindungen zu recherchieren. Manchmal verschicke ich auch Rosen übers Net. Es gibt jedoch kaum ein Webangebot, das ich vollständig problemlos nutzen kann – dann zum Beispiel nicht, wenn Links nicht mit Alternativtext in HTML unterlegt sind, so dass ich nicht weiß, wo sie hinführen. Vielen Seiten merkt man aber mittlerweile an, dass sich die Anbieter um Barrierefreiheit bemühen.

Anna-Maria Courtpozanis ist bei »WEB for ALL«, einem Projekt des Heidelberger Vereins zur beruflichen Integration und Qualifizierung e. V., verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit.

Foto: Christiane Link Ein Leben ohne Internet kann ich mir gar nicht mehr vorstellen. Als Journalistin brauche ich es jeden Tag für die Recherche. So kann ich mir Informationen auf den Bildschirm holen, die ich mir sonst in Bibliotheken zusammensuchen müsste – und diese sind für mich als Rollstuhlfahrerin nicht immer zugänglich. Privat genieße ich es, im Web mit Leuten zu kommunizieren, die ich sonst nie getroffen hätte. Was mich aber ärgert, ist, dass noch nicht alle Menschen barrierefreien Zugang zum Internet haben. Ich finde, erst wenn alle Menschen die gleichen Zugangschancen zum Internet haben, ist das Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft erreicht.

Christiane Link ist Journalistin und hat das Netzwerk HANDIFEM, eine Mailingliste für behinderte Frauen, ins Leben gerufen.

Foto: Dr. Ulrich Sandl Die Informationsgesellschaft setzt eine ungeheure wirtschaftliche Dynamik frei. Doch wir sehen, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen an dieser Entwicklung teilhaben. Hier werden wir ausgleichend tätig. Mit einer breiten Palette an Projekten versuchen wir, sowohl Menschen für die Möglichkeiten, die das Internet bietet, zu begeistern, als auch Barrieren, die die allgemeine Zugänglichkeit behindern, abzubauen. Doch es geht nicht nur um den wirtschaftlichen Aspekt. Ein wichtiger Bereich ist auch das so genannte E-Government: Bis 2005 werden alle internetfähigen Angebote des Bundes im Netz verfügbar sein. Und das macht nur Sinn, wenn alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen Chancen haben, die Vorteile dieses Angebotes zu nutzen.

Dr. Ulrich Sandl ist Leiter des Referats Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen und IT-Sicherheit im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit.

Foto: Petra Schaller Wir erstellen Websites, recherchieren im Internet oder entwickeln Contents – je nach Wunsch unserer Kunden. Die Auftragslage ist gut. Wir arbeiten unter anderem für Unternehmen, die europaweit agieren. Das spricht sich rum. Netscouts entstand aus den Boxdorfer Werkstätten des Vereins für Körperbehinderte. Die Firma wurde gegründet, um uns Menschen mit Körperbehinderung einen unseren Qualifikationen entsprechenden Arbeitsplatz zu bieten. Das Internet bietet da ganz neue Möglichkeiten.

Petra Schaller arbeitet bei der Nürnberger Integrationsfirma Netscouts, die Dienstleistungen rund ums Internet anbietet.

Foto: Christine Linnartz Es ist ein krasser Widerspruch: Das Internet bietet zwar tolle Chancen. Für Gehörlose aber stellt es eine große Barriere dar, weil Informationen nicht in Gebärdensprache zugänglich sind – obwohl es technisch möglich ist. Gebärdensprache ist jedoch kein Hilfsmittel, sondern das Hauptkommunikationsmittel dieser Usergruppe. Ohne sie ist eine volle Teilhabe am Informationsaustausch unmöglich. Es reicht nicht, Texte zu vereinfachen, um beispielsweise Frühertaubten, die Probleme mit der Schriftsprache haben, das Verständnis zu erleichtern. Denn Vereinfachung bedeutet oft Verkürzung. Ich möchte aber selbst entscheiden können, welche Informationen für mich wichtig sind und welche nicht. Ich will mir diese Entscheidung nicht aus der Hand nehmen lassen. Eine wirklich barrierefrei gestaltete Website sollte daher allen Usern ermöglichen, die Informationen, die sie brauchen, in der Form abzurufen, in der sie es möchten: schriftlich, vertont und in Gebärdensprache.

Christine Linnartz ist als Projektmanagerin beim Düsseldorfer Medienhaus Syrius verantwortlich für den Bereich Netzwerk-Management für Gehörlose.

Foto: Cordula Edler Es stimmt einfach nicht, dass Menschen mit so genannter geistiger Behinderung das Internet nicht nutzen können oder wollen. Ich sehe es an meinem Sohn, der das Down-Syndrom hat. Er war sieben Jahre alt, als er das erste Mal den Computer benutzte, und mit 14 Jahren ging er ins Netz. Mittlerweile gehört das Internet zu seinem Leben. Es ist nichts Besonderes mehr. Und so geht es vielen, die ich in meiner Arbeit kennen gelernt habe. Sie surfen, tauschen sich mit anderen aus und entwickeln mit Unterstützung ihre eigenen Webauftritte. Das würden noch weit mehr Menschen machen, doch für viele ist es einfach zu teuer. Es müsste für sie mehr Möglichkeiten geben, kostenlosen Zugang zu erhalten. Und es sollte mehr Webseiten geben, die den speziellen Bedürfnissen dieser Usergruppe entgegenkommen: einfach lesbar, kurze Sätze, keine Anglizismen, große Schrift. Davon würden auch andere Nutzergruppen profitieren. Zurzeit wird in einem Leonardoprojekt versucht, den international anerkannten Europäischen Computerführerschein (ECDL) für Menschen mit besonderen Lernschwierigkeiten in »einfacher Sprache« (easy to read) zu entwickeln.

Cordula Edler ist freiberufliche Sozialpädagogin mit dem Schwerpunkt Neue Medien und Menschen mit Behinderung. Sie leitet die Beratungsstelle In(p)but - Integrative Beratung und Unterstützung.

Foto: Jutta Croll Das Internet bietet Chancen für alle. Doch nicht alle können diese Vorteile nutzen. Unser Ziel ist es, diese so genannte digitale Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Viele Menschen wissen noch nicht, welche Möglichkeiten ihnen das Internet bietet, oder haben keinen Zugang, um es zu nutzen. Hier leisten wir Informations- und Unterstützungsarbeit: In unserer Datenbank haben wir inzwischen mehr als 6.000 Einrichtungen in Deutschland verzeichnet, in denen man das Internet öffentlich nutzen kann – einige davon sind bereits barrierefrei eingerichtet. Menschen mit Behinderungen haben längst den Nutzen des Internets für sich erkannt: Blinde oder hörgeschädigte Menschen profitieren ebenso wie mobilitätseingeschränkte User von E-Commerce und online zu erledigenden Behördengängen sowie selbstbestimmter Informationsbeschaffung. Doch die Gestaltung vieler Webseiten schließt sie von der Nutzung aus. Umso wichtiger ist es, Anbieter und Webdesigner für dieses Problem zu sensibilisieren und ihnen den besonderen Nutzen z. B. von barrierefrei gestalteten Online-Transaktionen zu verdeutlichen. Wir bieten deshalb Schulung und Beratung zur barrierefreien Webgestaltung.

Jutta Croll ist Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Chancen.