Die EU Richtlinie für die Umsetzung digitaler Barrierefreiheit schreitet voran

Infos und Entwicklungen im März 2019 zu einem europäischen Schritt Richtung Barrierefreiheit

Die EU Richtline mit der Nummer 2016/2102 heißt formal korrekt Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Der Name ist passend, verrät er doch, um was es geht: Barrierefreiheit auf Webseiten und Apps öffentlicher Stellen. Eine echte Chance für die digitale Barrierefreiheit.

Was ist das Ziel der Richtlinie?

In Artikel 4 der Richtlinie werden alle öffentlichen Stellen der Mitgliedsstaaten der EU dazu verpflichtet, die Umsetzung der Anforderungen an einen barrierefreien Zugang zu ihren Websites (inklusive Intranet und Downloads [1]) und mobilen Anwendungen sicherzustellen. Um dies zu leisten, müssen die vier Grundprinzipien der WCAG [2], der Web-Content-Accessibility-Guidelines, in deren aktuellen Form beachtet werden; danach muss eine Webseite oder App wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet sein.

Wem hilft die Richtlinie?

Die Richtlinie wird in der Zukunft den barrierefreien Zugang zu Kommunikation und Information auf Webseiten und per Apps sichern. Dabei gilt diese Absicherung nicht für alle Angebote, aber für diejenigen, die für einen EU-Bürger besonders wichtig sind, so zum Beispiel die Angebote von Rathäusern oder auch den Sozialämtern und der Arbeitsagentur. Menschen mit Behinderungen können sich so selbstbestimmt informieren und für sich selber sprechen. Insbesondere sehbehinderte oder hörbehinderte Menschen, aber auch Menschen mit Lernbehinderungen und motorischen Einschränkungen bekommen somit einen Zugang zu Kommunikation und Information, der heute für die Teilhabe an der Gesellschaft die entscheidende Grundlage ist.

Außerdem profitieren von den Regelungen der Richtlinie auch viele ältere Menschen, deren Seh- oder Hörvermögen nachlässt sowie Menschen, für die das Verständnis der deutschen Sprache eine Herausforderung darstellt, wie Menschen mit Einwanderungsgeschichte oder funktionale Analphabeten.

Wie wird die europäische Richtlinie in Deutschland umgesetzt?

Die Richtlinie ist gemäß Artikel 2 eine Mindestharmonisierung. Dies bedeutet, dass die Bundesregierung und die Bundesländer Regeln einführen können, die über die in der Richtlinie festgelegten Mindestanforderungen an die technischen Umsetzungen und den redaktionellen Inhalt hinausgehen, mindestens aber den Regeln der Richtlinie entsprechen müssen. Mit der BITV 2.0, der Barrierefreien Informationstechnikverordnung des Bundes [3], liegt für Deutschland grundsätzlich ein Regelwerk vor, das den Mindeststandards der Richtlinie fast gänzlich entspricht. Der Mindeststandard laut Artikel 6 der Richtlinie entspricht den WCAG 2.1 Level AA vom Juni 2018, die in der EN 301 549 V2.1.2, einer europaweit gültigen Standardnormierung, im Dezember 2018 im Amtsblatt der europäischen Union auf Seite 84 des „Official Journal of the European Union" No. 327 in der L Series unter der Entscheidung Nummer 2018/2048 als europäisch harmonisierter Standard erschienen ist.

Diesem Mindeststandard wird die BITV 2.0 aktuell angeglichen. Es ist zu vermuten, dass die BITV 2.0 in einigen Punkten etwas mehr Barrierefreiheit fordern wird als die EN 301549. Somit sind auf der Ebene des Bundes die Standards der technischen und redaktionellen Umsetzung für die digitale Barrierefreiheit in Deutschland gut aufgestellt.

Zu beachten ist dabei, dass die Länder eigene Normen für die Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit treffen werden und frei sind, sich an die BITV 2.0 anzuschließen oder andere Regelungen zu setzen. Diese Ländervorschriften müssen aber dem beschriebenen Mindeststandard der EN 301549 entsprechen. Die Ländervorschriften sind dann jeweils maßgebend für die Kommunen. Barrierefreiheit kann folglich bei unterschiedlichen Regelungen je nach Standort ein wenig unterschiedlich ausfallen.

Für einen ersten Trend, wie die Länder sich für die Umsetzung der Richtlinie aufstellen, ist ein Blick in die Landesgesetze von Bayern, Bremen, Hessen und Niedersachsen hoch interessant. Diese vier Länder haben bereits gesetzlich festgelegt, wie die Richtlinie im eigenen Land umgesetzt werden wird. Die anderen Bundesländer sollten in Kürze folgen.

Wen verpflichtet die Richtlinie? Auch die Kommunen?

Bei EU-Richtlinien kommt es auf den Anwendungsbereich an. Konkret aufgrund von Artikel 1 und Artikel 3 Nr. 1 der Richtlinie sind alle öffentlichen Stellen im EU-Gebiet zur Umsetzung verpflichtet. Die öffentlichen Stellen sind dabei auf allen Ebenen der Verwaltung gemeint, also auf der Bundes- sowie Landes- und Kommunalen Ebene vor Ort. Damit müssen in Zukunft sowohl große Bundesverwaltungen wie beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit oder ein Dienstleister wie die Deutsche Bahn, wie auch die kommunalen Verwaltungen vor Ort wie zum Beispiel das Bürgeramt barrierefreie digitale Angebote bereithalten.

Der Kreis der Betreiber von Webseiten, Intranets und Apps, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, ist also sehr groß und „Ja", auch die Kommunen sind davon umfasst.

Über den öffentlich-rechtlichen Bereich hinaus sind auch bestimmte Dienstleister des Privatrechts verpflichtet, wenn sie gemäß Artikel 2 Absatz 1 Nr. 4 EU-Vergaberechtsrichtlinie [4] Einrichtungen und Dienstleistungen anbieten, die der Öffentlichkeit offenstehen bzw. bereitgestellt werden müssen. Dies trifft insbesondere auf Krankenhäuser und kommunale Nahverkehrsunternehmen zu.

Gibt es Ausnahmen?

Keine Richtlinie ohne Ausnahmen: Es gibt auch Ausnahmen von der Pflicht zur Barrierefreiheit. Dabei gibt es Ausnahmen, die bereits die Richtlinie selbst definiert. Hier sind insbesondere folgende zu nennen:

  • Websites und mobile Anwendungen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten nach Artikel 1 Absatz 3 a) und Nichtregierungsorganisationen, die keine Belange von Menschen mit Behinderungen vertreten.
  • Spezielle Inhalte der digitalen Inhalte die als Archive gelten im Sinne von Artikel 1 Absatz 4 h) (weitere Inhalte mit zeitlichen Fristen in Absatz 4)
  • digitale Angebote von Schulen und Kindergärten unter der Voraussetzung, dass die Inhalte sich nicht auf wesentliche Online-Verwaltungsfunktionen beziehen im Sinne von Artikel 1 Absatz 5.

Weiterhin kann von der Anwendung der Richtlinie abgesehen werden, wenn die Einhaltung der Richtlinie eine unverhältnismäßige Belastung im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie darstellen würde. Die Kriterien für eine solche unverhältnismäßige Belastung sind aber sehr hoch und gelten immer nur für die konkreten Inhalte und nie für die gesamte Webseite oder mobile Anwendung. Weiterhin werden in Artikel 5 Eigenbewertungen und eigene Verbesserungsvorschläge des Betreibers gefordert.

Was macht der Bund und was steckt in der neuen BITV 2.0 drin?

Maßgeblich für die Umsetzung der Richtlinie auf der Bundesebene sind die neuen Regelungen im Bundesbehindertengleichstellungsgesetz BGG, die seit Juli 2018 in Kraft sind. Dort wird im § 12 d auch die für die konkrete Umsetzung zentrale BITV als Regelungsstelle benannt, die insbesondere die Anforderungen für die Umsetzung der Barrierefreiheit normieren wird.

Die BITV liegt aktuell in der Fassung BITV 2.0 aus 2011 vor, wird aber aktuell an die Regelungen der EN 301549 und somit an die EU Richtlinie angeglichen. Wann die neue BITV 2.0 vorliegen wird, ist noch nicht ganz klar – es sollte aber in 2019 sein; und auch beim Inhalt ist zu vermuten, dass einige neue zentrale Punkte mit aufgenommen werden, insbesondere einige, die sich aus dem neuen BGG ableiten lassen. Hier eine unverbindliche und lediglich vermutete Einschätzung:

  • der Geltungsbereich der BITV 2.0 sollte sich über Webseiten und mobile Anwendungen hinaus auch auf Intranets und alle relevanten Dokumente wie PDF auf der Webseite erstrecken. Weiterhin könnten auch elektronisch unterstützte Verwaltungsabläufe wie etwa die digitale E-Akte und die grafischen Programmoberflächen dazugehören,
  • der Technische Standard sollte auf die EN 301549 Version 2.1.2 verweisen. Dies ist die Mindestanforderung der Richtlinie,
  • die Regelungen zur Erklärung zur Barrierefreiheit samt Feedbackmechanismus, die die Richtlinie für alle digitalen Angebote öffentlicher stellen fordert, sollten näher beschrieben werden und eine Mustererklärung könnte angeregt werden.

Und jetzt konkret: Was hat wer zu tun?

Betreiber von Webseiten, Intranets und s, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, müssen

  • die technischen Umsetzungen sowie die redaktionellen Inhalte ihrer digitalen Angebote so gestalten, dass diese die aktuelle Version der BITV bzw. im jeweiligen Bundesland gültige Verordnung mit Bezug auf die EN 301 549 in der aktuellen Version einhalten. Dies bedeutet also, dass die vier Prinzipien der WCAG – Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit - beachtet werden müssen,
  • auf der eigenen Webseite oder in der eigenen App eine Erklärung zur Barrierefreiheit bereitstellen. Diese Erklärung zur Barrierefreiheit muss detaillierte, umfassende und klare Auskünfte zur Barrierefreiheit der digitalen Angebote enthalten. Dies bedeutet:
    • sie muss regelmäßig aktualisiert werden,
    • sie muss bei Auftritten im Web (Internet, Intranet) über einen deutlichen Hinweis auf der Startseite zugänglich und bei mobilen Anwendungen außerdem zusammen mit anderen Informationen beim Herunterladen verfügbar sein,
    • sie muss eine Erläuterung zu den Teilen des Inhalts enthalten, die nicht barrierefrei zugänglich sind sowie zu den Gründen hierfür.
  • auf der eigenen Webseite oder in der eigenen App einen Feedback-Mechanismus bereitstellen, der von den Usern des Angebotes genutzt werden kann, um bestehende Mängel der Barrierefreiheit anzuzeigen und auf die Beseitigung der bestehenden Barrieren hinzuwirken. Dieser Feedback-Mechanismus muss:
    • in der Erklärung zur Barrierefreiheit integriert sein und dazu dienen, dass die User des digitalen Angebotes jegliche Mängel der Barrierefreiheit der Website oder mobilen Anwendung mitteilen können und nicht barrierefrei zugängliche Informationen in einer für sie zugänglichen Form anfordern können,
    • mit einem Link zum vom Gesetzgeber bereitzustellenden wirksamen und effektiven Durchsetzungsverfahren (Beschwerdestelle) verknüpft sein, das in Ermangelung einer zufriedenstellenden Antwort auf die Mitteilung oder Anfrage in Anspruch genommen werden kann.

Die Richtlinie betont weiterhin in Artikel 7, dass die betroffenen Betreiber von Webseiten, Intranets und Apps auf Mitteilungen und Anfragen bezüglich der Barrierefreiheit zeitnah und angemessen reagieren müssen.

Ab wann geht’s los?

Seit 26. Oktober 2016 ist die Richtlinie beschlossene Sache, ab dem 23. September 2018 müssen in ganz Europa die grundlegenden gesetzlichen Bestimmungen umgesetzt werden. Dies bedeutet für die Webseiten- und App-Betreiber, die in den Anwendungsbereich fallen, dass sie die aktuelle Version der BITV bzw. im jeweiligen Bundesland gültige Verordnung mit Bezug auf die EN 301 549 befolgen müssen:

  • auf Websites, die nach dem 23.09.2018 veröffentlicht wurden: ab dem 23.09.2019,
  • auf alle am 23.09.2018 bereits bestehenden Websites: ab dem 23.09.2020,
  • auf mobile Anwendungen öffentlicher Stellen: ab dem 23.06.2021.

Wer hilft bei der barrierefreien Webseite oder App und wie wird diese Umsetzung überprüft?

In der Richtlinie werden alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, folgende zuständige Stellen für die Richtlinie zu benennen und einzurichten:

  • eine Stelle für ein wirksames und effektives Durchsetzungsverfahren (Beschwerdestelle),
  • eine Stelle für eine dauerhafte Überwachung der Einhaltung der Richtlinie.

Für Deutschland bedeutet dies nun, dass sowohl der Bund als auch die Länder jeweils diese beiden Stellen einrichten müssen. Wenn man in das BGG und die bereits erlassenen vier Landesgesetze schaut, so werden hier oft Organe aus den Sozialministerien oder auch den Ministerien für das Innere genannt, oft für die Durchsetzungsstelle die Landesbehindertenbeauftragten oder beim Bund auch die Schlichtungsstelle des BGG und die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit.

All diese Stellen sammeln Beschwerden zu Barrieren auf digitalen Angeboten, sind für die Durchsetzung der Richtlinie verantwortlich und übernehmen die Aufgabe der dauerhaften Überwachung der Einhaltung der Richtlinie. Weiterhin tragen die Stellen auch zum Abbau der vorgefundenen Barrieren bei, denn in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie fordert diese neben der Überwachung der Einhaltung von Barrierefreiheit auch, dass durch geeignete Mechanismen sichergestellt wird, dass festgestellte Barrieren beseitigt werden. Und zuletzt muss regelmäßig ein Bericht über die Umsetzung der Richtlinie durch diese Stellen an die EU Kommission erfolgen.

Daher prüfen die für die Durchsetzung und Überwachung der Richtlinie zuständigen Stellen nach Vorgaben der EU-Kommission (welche Betreiber aus welcher Region und welchem Bereich geprüft werden, wie detailliert geprüft wird, wie oft nachkontrolliert wird) die Webseiten und Apps aus dem Anwendungsbereich. Außerdem gehen diese Stellen den Rückmeldungen aller Feedback-Mechanismen der digitalen Angebote nach.

Die Stellen für das Durchsetzungsverfahren und die Überwachungsstellen prüfen jedoch nicht nur, sie helfen und beraten auch bei der Lösung vorgefundener Barrieren. Weiterhin sollen Schulungen und Beratungskonzepte sowie ein Wissensmanagement für digitale Barrierefreiheit aufgebaut werden. Insbesondere die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit wird hierbei eine Schlüsselrolle einnehmen.

Zuletzt sollen auch Zertifizierungsverfahren durch freie Anbieter auf den Weg gebracht werden. Damit sind nicht die vereinfachenden Internettools oder der veraltete BITV Test gemeint. Zukünftig ist absehbar und zielführend, dass es eine transparente Liste von Zertifizierungen und Anbietern gibt. Insbesondere solche, die bei der Erstellung, Durchführung und ständigen Aktualisierung des eigenen Zertifikats auf die Expertise von Peers – also Menschen mit Behinderung selbst (Blinde, Gehörlose, Menschen mit Lernbehinderungen) vertrauen und diese als Entscheider in eigener Angelegenheit fördern, sollten hier in der ersten Reihe stehen – ganz im Sinne der EU Webseitenrichtlinie und einem barrierefreien Informationszugang für diese Zielgruppe.

Text: eAbilityComm. Dort finden Sie weitere Informationen und ein Beratungsangebot zum Thema Barrierefreiheit.