Serie: BITV Reloaded

Fünf Jahre mit der BITV – eine Bestandsaufnahme

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen ist Barrierefreiheit nicht mehr nur eine nette Geste sondern für die Behörden des Bundes Pflicht. Seit Juli 2002 gibt es die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung des Bundes (BITV), die in der Zwischenzeit in vielen Bundesländern in entsprechende Verordnungen übernommen wurde.

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Autor: tc

Mit dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGG) für Menschen mit Behinderungen von 2002 trägt die Bundesregierung dem gewandelten Selbstverständnis behinderter Menschen und dem Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik Rechnung. Sie hat sich daher im BGG verpflichtet, möglichst viele Barrieren zu beseitigen, die Menschen mit Behinderungen daran hindern, in gleicher Weise wie Nichtbehinderte am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Auswirkungen auf den Bund

Die Zugänglichkeit im Internet regelt §11: »Träger öffentlicher Gewalt … gestalten ihre Internetauftritte … schrittweise technisch so, dass sie von behinderten Menschen grundsätzlich uneingeschränkt genutzt werden können.« Für die Durchführung gibt es die »Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung – BITV«. Danach müssen alle öffentlichen Web-Angebote, die nach In-Kraft-Treten der Verordnung neu gestaltet werden, auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein. Für alle bereits vor In-Kraft-Treten der Verordnung bestehenden Angebote gelten Fristen bis 31. Dezember 2003 bzw. 31. Dezember 2005.

Die BITV enthält keine Vorgaben zur Technik (Server, Router, Netzwerkarchitekturen und Protokolle, Betriebssysteme usw.) und zu Benutzeragenten. Die Anforderungen und Bedingungen beziehen sich allein auf die angebotenen Inhalte. Grundsätzlich basieren die Anforderungen auf den Zugänglichkeitsrichtlinien für Web-Inhalte 1.0 (Web Content Accessibility Guidelines 1.0) des World Wide Web Consortiums von 1999.

Zielvereinbarungen mit der Industrie

Gewerbsmäßige Internetanbieter will die Bundesregierung durch das im BGG festgeschriebene Instrument der Zielvereinbarungen bewegen, ihre Web-Präsenzen zugänglich für alle zu gestalten. Zielvereinbarungen sind zivilrechtliche Verträge zwischen einzelnen oder mehreren Anbietern und einer oder mehreren Organisationen der Behindertenhilfe und -selbsthilfe. Letztere können die Aufnahme der Verhandlungen verlangen.

Zusätzlichen Schub soll das angekündigte Zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz (ZAG) bringen. Danach darf niemand eine Dienstleistung im Internet einer bestimmten Personengruppe vorenthalten. Ausnahmen sind nur bei »sachlich begründeten Unterschieden mit Bezug zum Inhalt des Rechtsgeschäftes« erlaubt. Wer diskriminiert wird, soll seine Ansprüche effektiv durchsetzen können – bis hin zum finanziellen Schadenersatz.

Fristen

Mittlerweile sind sämtliche in der Bundes-BITV gesetzten Fristen abgelaufen; das Web hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch weiterentwickelt. Grund genug, sich die Verordnung nochmals genau anzusehen und zu überlegen, was sich bewährt hat und was nicht. Dazu betrachten wir die einzelnen Anforderungen der BITV, bewerten ihre Umsetzbarkeit und stellen leicht nachvollziehbare Beispiele von typischen Barrieren und Techniken zu deren Vermeidung vor. Damit Sie die Vorgaben der Verordnung besser in Arbeitsabläufe integrieren können haben wir zusätzlich eine tabellarische Übersicht der Zuständigkeiten erstellt.

Was kommt, was geht?

Bei aller Kritik an einzelnen Details der BITVsie ist als politische Richtlinie unentbehrlich. Weniger als technisch umsetzbare Richtlinie für Webentwickler, sondern viel mehr als Signal, dass auch im World Wide Web Menschen mit Behinderung an der allgemeinen Entwicklung teilhaben wollen.

Versetzen wir uns einen Moment zurück in die 90er Jahre. Wenn damals die Sprache auf das Thema ›Barrierefreies Internet‹ kam, war die übliche Antwort: »Wie, Blinde? Was machen die denn im Internet?« Das hat sich zum Glück mittlerweile geändert, und das ist sicher in weiten Teilen der Existenz der BITV zu verdanken. Sie hat das Thema in den Fokus der Fachleute gerückt, in deren Verantwortung es liegt, den Zugang und die Nutzung für alle potenziellen Nutzer sicherzustellen. Der Zwang, sich mit Qualitätsstandards zu befassen, hat zu einer deutlichen Verbesserung der Angebote des Bundes und vieler Länder geführt.

Bei einzelnen Anforderungen der Verordnung hingegen kann man kein einheitliches Urteil zu deren Sinnhaftigkeit und Umsetzbarkeit fällen. Natürlich sind die grundlegenden Prinzipien eines barrierefreien Angebotes immer gleich, egal welche Versionsnummer die BITV oder auch deren Vorlage in Form der internationalen Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) tragen mag. Um die kommenden WCAG 2.0 zu zitieren:

  • Inhalte müssen wahrnehmbar sein
  • Benutzerschnittstellen im Inhalt müssen bedienbar sein
  • Inhalte und Bedienelemente müssen verständlich sein
  • Inhalte sollten robust genug sein, um mit aktuellen und zukünftigen Benutzeragenten zu arbeiten (inklusive assistiver Hilfsmittel)

Hierbei handelt es sich um die universellen Prinzipien der barrierefreien Informationstechnik – diese müssen erfüllt sein, wenn ein Angebot als barrierefrei bezeichnet wird. Der aktuelle Stand der WCAG 2.0 weist leider in weiten Teilen in eine Richtung, die an ihrer Umsetzbarkeit in eine eventuelle BITV 2.0 erhebliche Zweifel aufkommen lassen.

Bleiben also nur die bestehenden Vorgaben der BITV bzw. der WCAG 1.0: ein Teil der Vorgaben wurde von der technischen Entwicklung eingeholt. Im Original finden sich eine Reihe von Checkpunkten, die als Interims-Lösungen gekennzeichnet sind (»Until user agents … « im englischen Text bzw. »bis Benutzeragenten … « in der deutschen Übersetzung), so zum Beispiel die Richtlinien 7 und 10.

In der BITV fehlt diese Einschränkung aus formaljuristischen Gründen, dafür hat der Gesetzgeber als Ersatz die 3 Jahre / 5 %-Regel in der Begründung zur BITV eingeführt. Diese besagt:

Die Sicherstellung der Verwendbarkeit assistiver Technologien und Browser ist insbesondere dann unverhältnismäßig, wenn die assistiven Technologien [sic] und Browser älter als drei Jahre sind und der Verbreitungsgrad in der einschlägigen Benutzergruppe unter 5 % liegt.

Nur – wer legt fest, ob diese Werte bei problematischen assistiven Hilfsmitteln erreicht sind? Die Verbreitung und die Marktanteile assistiver Hilfsmittel wie z. B. Screenreader kennen wir nicht; falls Sie eine Statistik kennen, freuen wir uns über eine kurze Nachricht.

Die Streichliste

Einen Vergleich der BITV- bzw. WCAG 1.0-Anforderungen mit den Erfolgskriterien der kommenden WCAG 2.0 sowie den BIENE-Prüfschritten finden Sie in »BITV, WCAG & BIENE – Die Matrix«

Im Anhang D des Entwurfs der WCAG 2 findet sich eine Auflistung der alten »until user agents…«-Klauseln, die nach einhelliger Expertenmeinung einen Stand erreicht haben, an dem sie als erledigt gelten können: Beispiele hierfür sind die Checkpunkte 1.5 (Textäquivalente für Imagemaps), 10.2 (explizite Labels), 10.3 (Textfluss in Layouttabellen), 10.5 (Trennzeichen zwischen Links) und 10.4 (Platzhalter in Formularen).

Andere sind deutlich abgeschwächt worden, wie die Checkpunkte 3.4 (skalierbare Schriften), 7.3 (Einfrieren von Bewegungen), 13.6 (Skip Links für alles und jedes) und 3.2 (Validierung).

Die Serie: BITV Reloaded

Somit ist es an der Zeit, die Serie »BITV für Alle« grundlegend zu renovieren. Wie schon in der ursprünglichen Serie schlüsseln wir die Anforderungen und Bedingungen der BITV nicht nach Prioritäten auf. In beiden Prioritätsstufen der Verordnung gibt es Dinge, die bei Nichterfüllung eine unüberwindbare Hürde für manche Nutzer darstellen würden. Eine weitere Aufspaltung in »Das sollten Sie unbedingt machen« und »Das können Sie auch noch erledigen, wenn Sie noch Lust dazu haben« würde diese Spaltung in ein technisch zugängliches und ein inhaltlich unzugängliches Web noch weiter fortschreiben.

Die Serie verlinkt zu den jeweils passenden Prüfschritten aus dem Testverfahren der BIENE 2006 sowie, wenn möglich, zu entsprechenden Erfolgskriterien der Web Content Accessibility Guidelines 2.0. Bitte beachten Sie, daß sich die WCAG 2.0 immer noch in der Phase des Entwurfes befinden und auch in 2006 entgegen der Zusagen noch nicht fertiggestellt wurden. Daher sind eventuell übernommene Strukturen und Inhalte bis zur Fertigstellung der Richtlinie nur vorläufiger Natur.

Ihre Einkaufsliste:

Die in der Serie durchgeführten Tests funktionieren leider nicht mit jedem Browser. Nur Browser, die auf einer modernen Codebasis beruhen und z. B. das W3C DOM vollständig unterstützen, können überhaupt die notwendigen Aktionen in den Seiten durchführen. Daher haben wir uns weitestgehend auf die kostenlos erhältlichen Browser Mozilla/Firefox und Opera beschränkt.

Browser:

Browser-Erweiterungen (Firefox):

Lokalisierte Fassungen der wichtigsten Firefox-Erweiterungen finden Sie bei www.erweiterungen.de.

Browser-Erweiterungen (Opera):

Browser-Erweiterungen (Internet Explorer):

Browser-Erweiterungen (Safari):

Eigenständige Anwendungen und Online-Tools:

Weitere Links zu Testwerkzeugen finden Sie im EfA-Blog unter den Tags , , oder . Die Web Accessibility Initiative führt eine eigene Liste mit Testwerkzeugen, in der Sie nach Einsatzzweck, Sprachversion etc. filtern können.

Falls Sie Kontakt zu Nutzern assistiver Werkzeuge suchen gibt es hierfür eine Reihe von Institutionen, die über sehr erfahrene Tester verfügen. Eine weitere gute Möglichkeit zum Austausch mit betroffenen Experten sind Mailinglisten wie die WAI-DE-Liste des deutschen W3C-Büros am Fraunhofer-Institut.

Ein paar grundlegende Definitionen

  • Die BITV ist nur für den Zuständigkeitsbereich des Bundes gültig (»Behörden der Bundesverwaltung«). Mittlerweile verfügen die meisten Bundesländer aber über eigene Landesgleichstellungsgesetze, in denen oftmals von der Bundes-BITV abgeleitete Verordnungen bestimmt sind. Auch ohne dem gesetzlichen Zwang zur Barrierefreiheit zu unterliegen ist es für viele andere Anbieter sinnvoll, die Richtlinien umzusetzen.
  • Wenn wir in dieser Serie von optionalen Formaten sprechen, so sind damit alle Inhalte einer Webseite gemeint, die nicht HTML oder Text sind. Dazu zählen so offensichtliche Dinge wie JavaScript, Java, Flash, Videos und Sounds (inklusive Podcasts), aber auch Bilder und Grafiken, CSS und hartcodierte Formatierungen im HTML selbst. Letzlich alles, was sich in irgendeinem Browser abschalten lässt, oder was in bestimmten assistiven Werkzeugen nicht unterstützt wird, ist somit im Sinne der BITV und damit für die folgenden Tests ein optionales Format.
  • Die häufige Nennung bestimmter Browser stellt natürlich keine Wertung dar. Wenn Sie einen anderen Browser in Ihrem täglichen Umgang mit dem Web einsetzen, so können Sie dies auch gerne weiter tun. Wir beschränken uns hier auf bestimmte Browser, weil diese über Features verfügen, welche die beschriebenen Tests vereinfachen oder überhaupt erst ermöglichen.