BITV Reloaded – Anforderung 2
Bedingung 2.3: Wahrnehmung mit Farbfehlsichtigkeiten (Prio. 2)
»Texte sind so zu gestalten, dass die Kombinationen aus Vordergrund- und Hintergrundfarbe auf einem Schwarz-Weiß-Bildschirm und bei der Betrachtung durch Menschen mit Farbfehlsichtigkeiten ausreichend kontrastieren.«
Was heißt das?

Ignorieren wir den Schwarz-Weiß-Bildschirm und wenden uns dem Kern der Bedingung zu: wie in der Einleitung zu BITV-Anforderung 2 erwähnt sind ca. 8-10 Prozent der männlichen Bevölkerung farbfehlsichtig; bei Frauen ist der Anteil hingegen wesentlich geringer. Für diese Nutzer ist wichtig, dass Farben, die dem Verständnis oder der Bedienung dienen, ausreichend wahrgenommen und unterschieden werden können. Auch wenn es bestimmte Bereiche des Spektrums und gewisse Farbkombinationen gibt, die für Farbfehlsichtige grundsätzlich problematisch sind, so sind diese nicht grundsätzlich zu vermeiden. Diese Bedingung bedeutet nicht, dass nur noch Layouts in Schwarz und Weiss möglich sind – im Gegenteil.
Die Frage ist hier, ob es zu Fehlbedienungen kommen kann oder ob Informationen verloren gehen, wenn bestimmte Farben oder Farbkombinationen nicht wahrgenommen werden können. Daher sollten Sie sich bei diesem Prüfschritt nicht auf Testwerkzeuge verlassen, die lediglich das Vorhandensein bestimmter Farben oder Farbkombinationen überprüfen, sondern die Farben immer in ihrem Kontext bewerten.
Welche der Farben denn problematisch ist wird Ihnen niemand mit absoluter Gewissheit sagen können, da man nicht messen kann, was Farbfehlsichtige tatsächlich sehen. Daher sind Empfehlungen oder sogar Berechnungen von Schwellwerten, ab denen diese Bedingung erfüllt ist, mit Vorsicht zu genießen. Wenn Sie weiter in diese Thematik einsteigen wollen empfehlen wir Ihnen hierzu das Buch »Building Accessible Websites« von Joe Clark, das auch als HTML-Version veröffentlicht wurde. In Kapitel 9 »Type and Colour« werden die verschiedenen Formen der Farbfehlsichtigkeit besprochen.
Komplementärkontraste sind grundsätzlich problematisch, besonders wenn es um grössere nebeneinander liegende Flächen geht. Hierunter versteht man Farben, die sich in einem Farbkreis genau gegenüberliegen und aufgrund der unterschiedlichen Wellenlängen ein dauerndes Umfokussieren des Auges verursachen. Dies führt zu dem bekannten Flimmern und Farbsäumen, die man zum Beispiel bei blauem Text auf orangem Hintergrund beobachten kann. In Halbtonbildern wie z. B. Fotos sind diese naturgemäß nicht zu vermeiden und sind somit auch nicht Gegenstand dieser Bedingung.
Wie schon in den vorhergehenden Bedingungen müssen hier noch weitere Punkte abgeprüft werden, da unzureichende Kontraste auch Nutzer betreffen, die Schwierigkeiten in der Erkennung subtiler Farb- oder Helligkeitsunterschiede haben. Mit zunehmenden Alter nimmt die Fähigkeit ab, schwache Farb- und Helligkeitskontraste zu differenzieren, die für jüngere Nutzer vollkommen unproblematisch sind.
Wie können Sie das testen?

Ein Teil dieser Bedingung ist mit den gängigen Mitteln der heutigen Betriebssysteme relativ einfach zu testen. Mac OS X lässt sich über die Systemeinstellung ›Bedienungshilfen‹ komplett auf Graustufen umstellen. Sie können auch einen Screenshot Ihrer Website in einem Grafikprogramm wie Photoshop in Graustufen konvertieren. Diese Methoden sind jedoch nur als erste grobe Tests zu verstehen und bieten keine verlässliche Aussage über tatsächlich problematische Farbkontraste.
Genauer als die reine Konvertierung nach Graustufen ist die Simulation von Farbfehlsichtigkeiten, wie sie bei www.vischeck.com möglich ist. Dieses kostenlose Online-Tool erstellt eine Grafikdatei Ihrer Website mit den Farben, wie sie Besucher mit den gängigsten Farbfehlsichtigkeiten sehen würde.
Noch genauer ist die Konvertierung, die unter colorfilter.wickline.org angeboten wird. Nach Eingabe der Adresse Ihrer Seite bekommen Sie keine Grafikdateien, sondern umgefärbte HTML-Seiten zurück und haben die Wahl zwischen einer Vielzahl unterschiedlichster Farbfehlsichtigkeiten.
Idealerweise führen Sie solche Tests bereits in der Designphase einer Website, also zu dem Zeitpunkt, wenn das Farbschema mit dem Kunden abgestimmt wird, durch. Mit CSS lassen sich Farbänderungen zwar in Sekundenschnelle durchführen, allerdings wird der Abstimmungsprozess mit dem Kunden verlängert. Und nichts ist schlimmer, als wenn Fehler erst nach dem Launch vom Kunden und dessen Besuchern gefunden werden. Also: frühzeitig testen!
Probleme bei der Bewertung
Tipp: Beachten Sie, dass alle diese Tests, insbesondere die visuellen Überprüfungen in einer Position etwa eine Armlänge vom Monitor entfernt durchgeführt werden sollten (Normalsichtigkeit vorausgesetzt). Wenn Sie Inhalte nur noch erkennen können, indem Sie sich näher zum Monitor hinbewegen, werden dies auch viele Ihrer Benutzer machen müssen. Das bedeutet, dass Ihr Design zu kontrastarm ist oder die Inhalte zu filigran, um in normaler Sitzposition noch wahrgenommen zu werden. Besonders hilfreich sind Benutzertests mit Menschen mit Farbfehlsichtigkeiten.
Spannend ist die Frage, ab welchem Wert Kontraste als ausreichend gelten können. Die BITV schweigt sich hier aus, da auch in den WCAG 1.0 eigentlich nur erklärt wird, wie man in CSS Farben festlegt, aber nicht welche man nehmen sollte und welche nicht.
Ein bekanntes Testwerkzeug für diese Bedingung ist der Colour Contrast Analyser des Web Accessibility Tools Consortiums, das auch in einer deutschen Übersetzung veröffentlicht wurde. Die Anwendung basiert auf einem vorgeschlagenen Algorithmus der nach wie vor in der Entwicklung befindlichen WCAG 2.0. So lange die neuen Richtlinien nicht fertiggestellt sind sollten die Ergebnisse mit Vorsicht behandelt werden.
Es ist fast unmöglich, Farbkontraste von geglätteten Schriften auf hochwertigen LC-Displays mit Subpixel-Rendering und Antialiasing verlässlich zu messen. Daher sollten sie sich nicht auf die Meßergebnisse von Werkzeugen wie der Firefox-Erweiterung ColorZilla verlassen.
Zur genauen Messung von Texten müssten Sie unter Umständen die Schriftglättung abschalten und den Text um ein vielfaches vergrößern. Das ist auch nicht unbedingt realistisch, da auf heutigen Computern die Schriftglättung ab Werk eingeschaltet ist und die meisten Nutzer, also auch die von dieser Bedingung Betroffenen, das Web ganz anders wahrnehmen als in diesem Testszenario.
Die bekannten Algorithmen ziehen nicht in Betracht, dass die möglichen Kontrastumfänge bei LC-Displays von 150:1 bei billigen Modellen bis zu 450:1 bei hochwertigen, bei Röhrenmonitoren von 350:1 bis 700:1 reichen, von unterscheidlichen Farbumfängen und Kalibrierungen ganz zu schweigen. Die subjektiv empfundenen Werte werden also höchst unterscheidlich sein und nicht unbedingt mit den Meßergebnissen übereinstimmen, zumal benachbarte Gestaltungselemente einen erheblichen Einfluß auf die subjektiv wahrgenommenen Kontraste haben können.
Ein weiteres Problem der für die WCAG 2.0 vorgeschlagenen Berechnungsmethode ist, dass sie zwar einen Mindestwert für Kontraste festlegt, jedoch keinen Maximalwert. Nach WCAG 2.0 erfüllt man die Priorität 2 mit einem Mindestkontrast, für einen noch höheren Kontrast erhält man die Höchstpunktzahl der Priorität 3. Eine maximale Obergrenze für Kontraste wird hingegen nicht gesetzt, wobei gerade für Menschen mit bestimmten Leseschwächen ein zu hoher Kontrast negative Auswirkungen auf die Lesbarkeit und das Textverständnis haben kann.